Köln und die Frau als „öffentlicher Platz“

Women´s right activist and publisher Alice Schwarzer arrives for the trial against Swiss meteorologist and TV weather host Joerg Kachelmann at the district court in Mannheim
Women´s right activist and publisher Alice Schwarzer arrives for the trial against Swiss meteorologist and TV weather host Joerg Kachelmann at the district court in Mannheim(c) REUTERS (KAI PFAFFENBACH)
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Alice Schwarzer glaubt zu wissen: Die Gewalt in Köln war ein „sexueller Pogrom“ fanatischer Islamisten. Andere Autoren im Buch „Der Schock“ deuten das Ereignis als Zeichen einer „Geschlechter-Apartheid“ oder als Racheakt.

Zimperlich war Alice Schwarzer mit Begriffen nie. 1975 warf sie Esther Vilar, die im Buch „Der dressierte Mann“ den Mann statt die Frau für unterdrückt erklärte, „Faschismus“ vor. Die „Faschisten des 21. Jahrhunderts“, deren Bekämpfung Schwarzer nun seit Jahren fast all ihre feministische Energie widmet, sind für sie jene, die einen fundamentalistischen Islam verbreiten. Das Kopftuch nannte sie einmal die „Flagge der islamistischen Kreuzzügler“.

Im von ihr herausgegebenen Büchlein „Der Schock – Die Silvesternacht von Köln“ unterstützt sie nun die Wortwahl der linken französischen Zeitung „Marianne“, die nach der Silvesternacht in Köln von einem „sexuellen Pogrom“ schrieb. Dass in Köln anders als bei den (Juden-)Pogromen, egal ob in Frankreich, Deutschland oder Russland, keine Menschen umgebracht wurden, ficht Alice Schwarzer nicht an. Aber nicht nur das ist merkwürdig an ihrem Beitrag „Silvester 2015, Tahrir-Platz in Köln“ – auch dass sie, ohne den Leser über die Zwischenstationen ihrer Erkenntnis zu informieren, aus der Tatsache, dass sich die Täter von Köln verabredet hätten, eine einzig „logische Erklärung“ ableitet: Die Täter seien „fanatisierte Anhänger des Scharia-Islam. Männer, die einen ,Gottesstaat‘ für ideal halten und die Demokratien verachten [. . .] Männer, die Islamisten sind.“

Mehr denn je „verlorene Söhne“

Auch wenn Alice Schwarzer werbewirksam draufsteht, lesenswerter sind andere. Und zwar auch dann – ja, gerade dann! – wenn sie altbekannt sind und dasselbe verkünden wie schon vor zehn, zwanzig Jahren. So schreibt die deutsch-türkische Soziologin Necla Kelek über junge, autoritär erzogene männliche Muslime: „Sie müssen die eigene Freiheit lernen, um die der anderen zu respektieren.“ Das weckt Erinnerungen – an ihr 2006 erschienenes Buch „Die verlorenen Söhne“, das aus Gesprächen mit jungen türkischen Gefängnisinsassen hervorging.

Zehn Jahre ist das nun her, und wie heftig wurde Kelek danach aus dem Universitätsmilieu attackiert! Heute scheinen ihre Arbeiten aktueller denn je. Kelek müsste sich nicht wiederholen, hätte man früher auf sie gehört – und allein das Déja-vu-Erlebnis beim Lesen wirkt wie ein gespenstischer Kommentar zur Gegenwart. Dasselbe beim Deutsch-Syrer Bassam Tibi, einem weiteren alten „Haudegen“ gegen das Einsickern des fundamentalistischen Islam in Europa: Wie desillusioniert klingt er im Vergleich zu früheren Jahren, wenn er einen „europäischen zivilen Islam“ als zurzeit „chancenlos“ ansieht – und die Unkenntnis „vieler meiner deutschen Gesprächspartner“ beklagt: Sie „scheinen die Gewalt, die in der Tradition einer orientalisch-patriarchalen Kultur gegen Frauen liegt, nicht zu verstehen“, nicht zu begreifen, dass die Frau nicht als Subjekt gelte, sondern als Gegenstand der Ehre eines Mannes. Für ihn war die Kölner Silvesternacht vor allem ein „kulturell verankerter Racheakt“ zur Demütigung des „europäischen Mannes“.

Kulturelle Rechte vor Frauenrechten?

Der Frauenkörper sei für arabische Muslime „ein öffentlicher Platz“, schreibt auch der algerische Schriftsteller Kamel Daoud in seinem Beitrag, dessen Erstveröffentlichung in der „New York Times“ und in „Le Monde“ Daoud Rassismusvorwürfe bescherte. Seine in den 1990ern vor den Islamisten geflüchtete Landsfrau, die Soziologin Marieme Hélie-Lucas, fragt sich, warum sie und so viele andere Frauen sich vergeblich „seit drei Jahrzehnten die Kehle aus dem Hals“ schreien, um auf Parallelen zwischen der algerischen Islamisierung seit den 1970ern und den jüngeren Entwicklungen in Europa hinzuweisen. Und sie kritisiert eine „Hierarchie der Grundrechte“, bei der religiöse und kulturelle Rechte über Frauenrechte gestellt werden.

Neuere Beispiele für die von den großen Islamverbänden betriebene „muslimische Geschlechter-Apartheid“ in Deutschland liefert Islamwissenschaftlerin Rita Breuer, und kritisiert: „Es sind diese Islamvertreter, die uns nun sagen, man dürfe solche Verbrechen wie in Köln nicht ,kulturalisieren‘. Das Gegenteil ist richtig: Die Moscheevereine und ihre Gefolgschaften sind es, die das Zusammenleben von Männern und Frauen ,islamisieren‘ wollen.“ Und, wie schön – das Hoffnungsvollste kommt aus Österreich: Der „Falter“-Chefredakteur erklärt kundig und klarsichtig wie gewohnt, warum es in Österreich trotz allem besser läuft als in Deutschland. „Das versichert Florian Klenk“, schreiben die Herausgeber im Vorspann – so wenig Pessimismus ist ihnen offenbar doch ein bisschen verdächtig . . .

PERSON UND BUCH

Am 12. Mai erscheint „Der Schock – Die Silvesternacht von Köln“ (Kiepenheuer & Witsch). Alice Schwarzerist seit den 1970ern eine zentrale Figur der deutschen Frauenbewegung und gründete 1977 die Zeitschrift „Emma“. In den vergangenen Jahren kritisierte sie heftig das Frauenbild muslimischer Migranten, sie ist für ein Verbot des Kopftuchs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2016)

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