Man Booker International Prize: Vegetarische Rebellin aus Korea

Drastisch und lyrisch schreibt die 45-jährige Han Kang über gesellschaftliche Unterdrückung.
Drastisch und lyrisch schreibt die 45-jährige Han Kang über gesellschaftliche Unterdrückung.(c) APA/AFP/LEON NEAL
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Koreanerin Han Kang erhielt den Man Booker International Prize für den Roman „The Vegetarian“. Bald gibt es ihn auf Deutsch. Der Wiener Robert Seethaler ging leer aus.

Eine Frau hört auf, Fleisch zu essen – daran ist eigentlich noch nicht viel Auffälliges, auch nicht in Südkorea. Aber die 45-jährige Koreanerin Han Kang lässt in ihrem auf Englisch „The Vegetarian“ betitelten Roman eine weibliche Rebellion damit beginnen. „Bevor meine Frau Vegetarierin wurde, hatte ich sie immer für in jeder Hinsicht ganz unauffällig gehalten“, lässt Han Kang zu Beginn den Ehemann ihrer Protagonistin sagen. Die Veränderung ist radikal, immer mehr verweigert sich die Frau einer vor allem durch ihren Vater (der sie zwangszuernähren versucht) personifizierten gewalttätigen Gesellschaft, unter anderem, indem sie ihren eigenen Körper ablehnt. Die Geschichte endet mit einer Fantasie der Heldin, die an Ovid und das Schicksal der Daphne in den „Metamorphosen“ erinnert: ihre Verwandlung in einen Baum.

„Die Vegetarierin“ erscheint im Sommer

Im August wird „The Vegetarian“ im Aufbau Verlag auf Deutsch erscheinen, einstweilen kann man den bereits viel gepriesenen Roman in einer englischen Übersetzung lesen, die zumindest die Jury des Man Booker International Prize hinreißend findet: Diese hat am Montagabend mit „The Vegetarian“ das diesjährige Siegerbuch bekannt gegeben.

Auf den Sieg eines Österreichers muss man also warten, aber immerhin: Mit dem Wiener Robert Seethaler („Ein ganzes Leben“, „A Whole Life“) stand zum ersten Mal ein heimischer Autor auf der Shortlist dieses prestigeträchtigen Preises, der ausländische Belletristik in englischer Übersetzung auszeichnet – bisher das Gesamtwerk eines Autors oder einer Autorin, heuer zum ersten Mal ein einzelnes Buch. Sehr angetan zeigte sich die Jury von Seethalers literarischer Suche nach „Würde und Schönheit in der Einsamkeit“. Ganz anders als der sanfte Seethaler-Roman ist „The Vegetarian“, das von der Jury für den lyrischen und zugleich provokanten, drastischen Ton, die schmerzhafte Körperlichkeit gelobt wurde. Ungewöhnlich ist an diesem Roman auch die junge Übersetzerin Deborah Smith, die erst vor sieben Jahren Koreanisch zu lernen begonnen hat. Sie erhält auch die Hälfte des Preisgeldes von insgesamt 50.000 Pfund – umgerechnet knapp 64.000 Euro.

Die Qualität der Übersetzung spielt bei der Vergabe des Man Booker International Prize eine entscheidende Rolle. Der seit 2005 vergebene Ableger des traditionsreichen Preises hat auch dazu beigetragen, nicht englischsprachige Literatur in England beliebter zu machen. Dass die britischen Leser in den vergangenen Jahren sich immer mehr für das interessiert haben, was literarisch jenseits ihrer Landesgrenzen vor sich geht, ist ein klarer Trend. Übersetzte Belletristik verkauft sich einer neuen Studie zufolge heute bei den Briten fast doppelt so gut wie englische Originaltexte; vor 15 Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt. Und während die Verkaufszahlen für Belletristik seit dieser Zeit insgesamt leicht zurückgegangen sind, haben sich jene für Übersetzungen im gleichen Zeitraum verdoppelt.

Briten begeistern sich für Knausgard

Ungeheuer beliebt ist (nicht nur) in England derzeit der Norweger Karl Ove Knausgaard mit seiner Romanreihe „Min kamp“ (auf Deutsch „Mein Kampf“, auf Englisch „My Struggle“). Begeistert gelesen wird auch jene mysteriöse italienische Schriftstellerin, die unter dem Pseudonym Elena Ferrante grandiose Romane veröffentlicht – einen davon, „l'amica geniale“, hat die BBC in die Liste der 20 besten Romane des neuen Jahrtausends aufgenommen, ein anderer (auf Englisch „The Story of a Lost Child“) stand auch auf der Shortlist des Man Booker International Prize.

„The Vegetarian“ erschien in England 2015, heuer ist ein weiterer Roman von Han Kang auf Englisch erschienen: „Human Acts“ geht vom Studentenmassaker aus, das 1980 in der südkoreanischen Stadt Gwangju stattfand, wo Han Kang als Kind jahrelang lebte. Der Roman erzählt die Geschichten von Überlebenden und Opfern. Vor allem dieses Werk brachte Han Kang international großes Renommee; sehr wahrscheinlich, dass auf die internationale Aufmerksamkeit für „The Vegetarian“ auch bald eine deutsche Übersetzung von „Human Acts“ folgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2016)

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