Pygmalions Windsbraut

Die Vermesserin des Wortes: Julya Rabinowich.
Die Vermesserin des Wortes: Julya Rabinowich. www.corn.at/Deuticke Verlag
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Alma Mahler und die Liebe zu den Kröten: Nicht nur um sie, sondern auch um Oskar Kokoschka und den vergessenen Biologen Paul Kammerer kreist Julya Rabinowichs neuer Roman.

Die Geschichte wird in etwa so kolportiert: Verzweifelt, dass Alma Mahler nicht ihn, sondern Walter Gropius heiratet, lässt Oskar Kokoschka eine Puppe herstellen, die ihm die Geliebte ersetzen soll. In Julya Rabinowichs Roman ist Kokokschka aber nicht nur verzweifelt, sondern auch empört über Almas Verweigerung. Die Muse hat die ihr zugedachte Rolle willkürlich abgestreift, ohne seine Zustimmung. Es war die Zeit, in der Frauen es endgültig satthatten, nur als Schatten oder Anhängsel ihrer Männer wahrgenommen zu werden. Im Gegensatz zur anderen berühmten Muse des Fin de Siècle, der Schriftstellerin und Essayistin Lou Andreas-Salomé, ebenfalls Freundin berühmter Männer wie Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke, hat sich Alma in ihrer ersten Ehe mit Gustav Mahler noch komplett unterworfen, ihm zuliebe ihr Musizieren und Komponieren aufgegeben. Nun aber, gereift und selbstbewusster, gibt sie ihr Schicksal nicht mehr willfährig aus der Hand.

Bunte Mosaiksteine. Beide Frauen, Mahler-Werfel und Andreas-Salomé, wurden bereits literarisch in die Gegenwart gehoben. Andreas-Salomé etwa in einer Oper oder in Irvin D. Yaloms „Und Nietzsche weinte“. Paulus Manker hat Mahler-Werfel in seinem monumentalen Theaterstück „Alma“ porträtiert. Rabinowichs Annäherung an die Figur folgt einem ähnlichen Muster. Schon im Vorwort denkt sie über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nach, die man sich statt einer linearen Abfolge ebenso gut als Kreisel vorstellen könne, als Kaleidoskop, dessen Steinchen in immer anderer Konstellation aufeinandertreffen, immer neue Formen schaffend. Damit entzieht sie sich auch der Frage, ob es wirklich so gewesen ist. Während etwa Daniel Kehlmanns Protagonisten der „Vermessung der Welt“, Alexander Humboldt und Carl Friedrich Gauß, ausschließlich in indirekter Rede kommunizieren – wir waren schließlich nicht dabei, wir haben nicht gehört, was und wie sie es tatsächlich gesagt haben –, flicht Rabinowich mutig Dialoge ein, lässt aber auch Originalquellen sprechen.

Zu Kokoschkas Feinden auf dem Liebesschlachtfeld zählte Paul Kammerer, Biologe und Begründer der Epigenetik, die heute wieder breit diskutiert wird. Dessen Leidenschaft, abseits jener für Alma, gehört den Amphibien, den Lurchen, Olmen, Salamandern und Kröten. So sehr liebt er diese Tiere, dass er sogar seine Tochter Lacerta, Eidechse, tauft. Die Bahnen, die diese beiden Trabanten um ihre Sonne, Alma, ziehen, stehen im Mittelpunkt des außergewöhnlichen Romans.

Achim Benning warnte seine Regiestudierenden am Max-Reinhardt-Seminar, ihre Inszenierungen aus Einfällen zu gestalten. Auch Rabinowich verlässt sich nicht auf Gedankenblitze. Der nicht eben schmale Stoff – die Wissenschafts-, Kunst- und Kulturszene der niedergehenden Monarchie, der aufkeimende Antisemitismus, dem Kammerer letztlich zum Opfer fällt, der monströse Erste Weltkrieg und immer wieder die Frauenfrage – wird modelliert, auf reflektierte und kluge Weise, ähnlich einem Bildhauer, der seine Figur aus einem Marmorblock meißelt.

Beeindruckend ist auch die Bildgewalt des Textes. Da wird kein Satz hingerotzt, wie es andernorts heute en vogue ist. Jedes Wort wird gemessen, gewogen und für gut genug befunden, hier zu stehen. In einer Erzählung ist das machbar. Über die Länge eines Romans aber diese Konzentration durchzuhalten ist weit schwieriger. Schließlich gilt es auch, eine Geschichte am Laufen zu halten. Die nicht chronologische, episodenhafte Behandlung des Themas mag hier hilfreich sein, indem jedes Kapitel als eigenständige Erzählung behandelt wird. Trotzdem, überhaupt und insgesamt: Chapeau!

Neu Erschienen

Julya Rabinowich:
„Krötenliebe“


Deuticke
192 Seiten
20,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2016)

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