Die Angst vor dem Auswandern

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Gespalten zwischen Odessa und New York ist Pasha, der Held aus jüdischer Familie in Yelena Akhtiorskayas Roman. Das Buch überzeugt mit Humor, stilistisch nur zum Teil.

Schon der erste Besuch des großen Poeten Pasha Nasmertow, wohnhaft in Odessa, bei seinen Verwandten in Litte Odessa steht unter keinem guten Stern. Als er im Auto durch den von sowjetischen Einwanderern geprägten Stadtteil Brighton Beach fährt, empfindet er nichts als „blanken Horror“: „Der Dreck, die Tristesse und die Taubenscheiße störten ihn nicht, wohl aber die fünf nebeneinanderliegenden Restaurants mit dem Namen Odessa. Seine Landsleute waren nicht mutig zu neuen Ufern aufgebrochen, sondern hatten sich in eine winzige Nische am hintersten Ende eines fremden, verwahrlosten Grundstücks verkrochen, um eine exakte Kopie des chaotischen, mangelhaften Originals zu erschaffen, das sie gerade erst und unter großen Mühen verlassen hatten.“

Pasha, der 1956 in Czernowitz in eine jüdische Familie geborene Eigenbrötler, wird sich nie mit der neuen Heimat seiner Rest-Familie anfreunden können. Mehrmalige Angebote seiner Mutter Esther und Schwester Marina, die ihn zu einem endgültigen „Ja“ und damit zur Auswanderung bewegen wollen, schlägt er zwar nicht direkt aus, lässt sie aber unbeantwortet in den Wellen des großen Meeres versanden. Die New Yorker Künstlergemeinde kann Pasha nicht restlos begeistern, der American Dream zieht ihn nicht an. „Jedwede Zweifel an den Vorteilen der Einwanderung ließen sich mit einem einzigen Blick in Pashas Mund beseitigen.“ Doch für Pasha ist Zahngesundheit keine Kategorie. Er „bemerkte nicht, mit welchem Entsetzen er gemustert wurde“.

Enge Familienbande. Nicht nur über den eigentümlichen Pasha darf in Yelena Akhtiorskayas Familienroman „Der Sommer mit Pasha“ geschmunzelt werden. Alle Beteiligten haben ihr Los zu tragen – auch die Ausgewanderten: Schwester Marina muss bei einer jüdisch-orthodoxen Familie als Putzfrau arbeiten; sie wird entlassen, als sie dem Sohn der Familie eine Salamipizza zu essen gibt. Ihr Mann Levik verbarrikadiert sich unterdessen hinter seinem Computer. Mutter Esther, die gute Seele im Haus, erkrankt an Krebs. Und Marinas Tochter Frida löst sich erst spät aus der Obhut der Familie. Sie ist es, die im zweiten Teil des Buches im Zentrum steht und ihren Onkel, der seit Mitte der 1990er nicht mehr nach New York gekommen ist, mehr als ein Jahrzehnt später in Odessa besucht.

Akhtiorskaya, die selbst aus der ukrainischen Stadt stammt und Anfang der 1990er mit ihrer Familie in die USA übersiedelte, beschreibt in ihrem Roman die komplexen inneren Welten der sowjetischen Emigranten. Tragikomisch die Szene, als sich die Familie für einen amerikanischen Professor als „typisch russisch“ inszeniert, um die erhoffte Aufnahme von Tochter Frida an einer Eliteuniversität zu sichern.

Angesichts der Herkunft der Autorin verwundert es, dass in der ersten Hälfte des Buches unentwegt von Russland die Rede ist, wenn von der Ukraine gesprochen wird. Der Sprachwitz Akthiorskayas zeichnet den Roman aus, doch manche Schilderungen sind langatmig. Zudem blickt die Autorin aus der Position der Beobachterin auf ihre Figuren: Die Nacherzählung dominiert, nicht der Dialog, was der Handlung das Lebhafte nimmt.

Ernüchterung in Odessa. Auf ihrer Reise in die Ukraine erlebt Frida mehrere unangenehme Überraschungen: So leben ihr alternder Onkel und seine zarte Freundin Zweta in einem dunklen Loch. In der Datscha, über Jahrzehnte das Sehnsuchtsobjekt der Familie, haust Pashas frühere Frau Nadia. Die Hochzeit von Nadias und Pashas Sohn, wegen der Frida eigentlich gekommen ist, wird abgeblasen. Eine Reise voller Enttäuschungen? Aber ja!

„Sie musste enttäuscht werden, um weiterzukommen. Mehrmals im Leben brauchte der Mensch eine ordentliche Ernüchterung“, heißt es. Für Frida öffnet sich ein neuer Weg, dort, wo sie es am wenigsten vermutet hätte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)

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