Des Dichters Roadtrip in den Krieg

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Serhij Zhadan ist Maidan-Anhänger, Punkrocksänger und Poet. In seiner neuen Textsammlung „Warum ich nicht im Netz bin“ befasst er sich mit den Folgen des Krieges in der Ukraine.

Serhij Zhadan schöpft seine Prosa und Poesie auf langen Fahrten über Landstraßen, in wodkatrunkenen Gesprächen und immer öfter in Schützengräben. Als im Winter 2013/2014 Gegner und Befürworter des Maidan in seiner Stadt Charkiw auf die Straße gingen, war er unter den proeuropäischen Demonstranten. Seit sein Land vor zwei Jahren in den Krieg abrutschte, fährt er in das Konfliktgebiet im Donbass. Er begleitet Hilfstransporte für ukrainische Soldaten, tritt mit seiner Band in Jugendzentren und Kulturheimen in ostukrainischen Industriestädten auf, sitzt mit den örtlichen Bewohnern bei einem Bier am Tisch und redet. Und schreibt.

Anfang August erscheint im Suhrkamp-Verlag die Textsammlung „Warum ich nicht im Netz bin“, die Zhadans Auseinandersetzung mit dem Krieg in seinem Land in Gedichten, Poemen und Tagebucheinträgen dokumentiert. Am Dienstagabend liest er aus dem Buch beim Wiener Lyrik-Festival Poliversale. Im Vorwort beschreibt Zhadan, was Krieg für ihn als Autor bedeutet: Der Tod liegt wie ein drohender Schatten über jeder Handlung. „Der Krieg ist wie eine Krankheit, die unerwartet ausbricht. Und deswegen weißt du auch nicht gleich, wie du dich verhalten und welche Wörter du verwenden musst.“

Der 41-Jährige stammt selbst aus dem Donbass, aus Starobilsk, das heute knapp auf der ukrainisch kontrollierten Seite liegt. Seit vielen Jahren lebt Zhadan in der östlichen Großstadt Charkiw. Er spricht und schreibt auf Ukrainisch in einer größtenteils russischsprachigen Umgebung. Während man ihn in der Ukraine ebenso als Frontmann der Punk-Band "Sobaky w Kosmosi" (übersetzt: Hunde im Kosmos) kennt, hat er hierzulande vor allem als Romanautor einen Namen. Im Vorjahr erschien auf Deutsch sein Charkiw-Roman „Mesopotamien“. In „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ (2012) erscheint das Industriegebiet Donbass als grenzenlose Landschaft, die es nicht mehr gibt. Die Front teilt nunmehr die Weite.

In der Ukraine von heute ist es kein Widerspruch, Patriot und Punk zu sein. Zhadan hat stets die frühere Regierung des Oligarchen-treuen Präsidenten Viktor Janukowitsch für ihren Autoritarismus kritisiert und sich für eine proeuropäische Ukraine stark gemacht. Seit Beginn der Maidan-Bewegung hat er eine stärkere Beschäftigung mit den Bewohnern des Ostens gefordert, von denen viele indifferent gegenüber dem politischen Aufbruch und empfänglich für antiukrainische Agitation waren. Die Bestürzung über das Geschehene ist aus seinen Texten zu hören.

Der Tod kommt ohne Erklärung

Doch zu hören sind auch viele Zwischentöne, die in diesem Konflikt oft verdeckt werden. In den Tagebucheinträgen über seine Road Trips kommen Apathische, Begeisterungslose und Überrumpelte zu Wort. Und immer wieder die Ratlosigkeit ob der Entzweiung: „Einer staunt über den anderen, als hätten wir nicht die ganze Zeit in einem Land gelebt, uns nicht auf einem Territorium befunden. (. . .) Eigentlich haben wir so viele Gemeinsamkeiten, dass es keine Probleme geben dürfte. Aber das Problem liegt darin, dass uns ebenso viele Dinge verbinden wie trennen, und das darf man nicht vergessen. Um nicht irgendwann zur Waffe zu greifen.“

Zhadans Prosagedichte wiederum sind Porträtskizzen, hart und weich zugleich. Ein Gedicht handelt von einem Tattookünstler, der an einer Straßensperre erschossen wird, „früh am Morgen, mit einer Waffe in der Hand, irgendwie aus Versehen – keiner begriff, was passiert war“.

Zhadan hat sich in der Vergangenheit für die Verständigung zwischen Künstlern eingesetzt – mit gemischtem Erfolg. Bei der von deutschen Geldgebern geförderten Veranstaltung Debates on Europe im Dezember 2015 in Charkiw lud er ausgerechnet die Dichterin Elena Zaslawskaja aus Luhansk ein. Zaslawskaja, früher Mitglied der Künstlergruppe Stan, ist heute Unterstützerin der Separatisten der Luhansker Volksrepublik. Ihre Gedichte werden in prorussischen Gedichtbänden publiziert. Für Entrüstung sorgte ihr Heldenpoem über den für seine Brutalität bekannten Separatisten-Kommandanten Motorola. Zaslawskaja konnte in Charkiw nicht öffentlich auftreten, da nationalistische Gruppen drohten, die Veranstaltung zu sprengen. Die Dichterin musste aus dem Saal eskortiert werden. In Charkiw prallten Parolen aufeinander, Dialog missglückte.

Dialog mit dem Feind?

Das Thema Dialog mit Vertretern der gegnerischen Seite – sei es aus Russland, sei es aus den abtrünnigen Gebieten – ist nicht zuletzt deshalb hoch umstritten, weil der bewaffnete Konflikt noch nicht beendet ist und beinahe jeden Tag Menschen auf beiden Seiten sterben. Zwar unternehmen internationale Organisationen und NGOs erste Schritte in Richtung Aussöhnung, jedoch ist das aufgrund der politisierten Lage ein schwieriges Unterfangen. Treffen zivilgesellschaftlicher Gruppen können weder in der Ukraine noch in Russland stattfinden, sondern an einem dritten, neutralen Ort. So veranstaltete etwa die OSZE in Wien Treffen zwischen ukrainischen und russischen Journalistenvertretern.

Zhadans Werk ist dennoch von Hoffnung getragen. Die ist nicht naiv, sondern ganz handfest. Menschen hüben und drüben werden einmal Antworten auf Fragen suchen, die heute noch nicht gestellt werden. „Der Krieg geht irgendwann zu Ende, auch wenn er heute endlos aussieht. Die Städte, die Straßen, die Stimmen bleiben, es bleibt der Wunsch zu reden, der Wunsch zuzuhören.“

Lesung. 5. Juli um 19 Uhr im Rahmen des Lyrik-Festivals Poliversale in der Alten Schmiede, 1., Schönlaterngasse 9. Der Autor ist im Juli Fellow des Programms Ukraine in European Dialogue am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien.

Buch. Serhij Zhadan: „Warum ich nicht im Netz bin. Gedichte und Prosa aus dem Krieg“. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe, 180 Seiten, Edition Suhrkamp, 16,50 Euro. Erscheinungstermin: 6. August.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2016)

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