„Frauen sind sehr fehlerunfreundlich“

Der vierte und letzte Tag der Leipziger Buchmesse 2016 Michael Kumpfmueller praesentiert sein Buch Di
Der vierte und letzte Tag der Leipziger Buchmesse 2016 Michael Kumpfmueller praesentiert sein Buch Diimago/Christian Grube
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Der deutsche Schriftsteller Michael Kumpfmüller liest in Wien: Ein Gespräch über seinen jüngsten Roman, „Die Erziehung des Mannes“, über fremde Väter, sexlose Ehen und über Frauen, die alles zu perfekt machen wollen.

Die Presse: Nach der Lektüre Ihres Romans muss man zu dem Schluss kommen: Nicht die Eltern, es sind die Kinder, die den Mann letztlich erziehen.

Michael Kumpfmüller: Der Titel ist ja auch ironisch zu verstehen und spielt auf diese weitverbreitete Vorstellung von Erziehung als Abrichtungsprozess an. Googeln Sie doch einmal „Erziehung des Mannes“, und Sie werden zu Foren weitergeleitet, in denen Frauen Tipps geben, wie man einen Mann erziehen muss. Das funktioniere wie bei einem Hund, man beherzige nur folgende Punkte: erstens, zweitens, drittens. Aber andererseits mag ich die Vorstellung von Erziehung als Prozess der Selbstfindung und Selbstbehauptung. Und wenn man die Erziehung so betrachtet, als geglücktes Projekt, dann stimmt das, dann haben daran die Kinder bei Georg einen großen Anteil. Es ist ja ein Geschenk der Geschichte, dass wir Männer mit unseren Kindern leben können, nicht nur abwesend sind. Das ist ja erst meiner Generation zuteil geworden. Ein Freund von mir hat gemeint, er habe seinen Vater wie jemanden erlebt, der auf einem anderen Planeten gelandet sei, und dieser Planet heißt Familie. Früher war der Vater fremd.

Der Vater von Georg ist extrem autoritär. Aber er bekommt nicht den autoritären Sohn, den er sich wünscht. Im Gegenteil.

Diese Art von Erziehung funktioniert nicht mehr in einer demokratischen Gesellschaft. Der autoritäre Charakter kann nicht mehr so einfach durchgepaust werden, weil er dysfunktional wäre. Aber auch die Mutterfigur in dem Roman ist problematisch, insofern sie den Sohn als Ersatzpartner nimmt. Das ist die zweite Quelle von Georgs Unfreiheit. Erfahrungen, die man in der Familie sammelt, bestimmen den Möglichkeitsraum, aber die Frage ist: Inwieweit hat das Individuum dann die Freiheit, etwas anders zu machen? Bei den Kindern kann Georg das Prinzip der Wiederholung aufbrechen.

Dieser junge Georg ist ja fast provozierend passiv. Seine Partnerin will mit ihm zusammenziehen, also ziehen sie zusammen, sie will heiraten, also heiraten sie, sie will Kinder . . .

Darin liegt ein kleiner Skandal des Buches, es wendet sich gegen diese neoliberale Selbstillusionierung der Machbarkeit. Dagegen, dass wir uns selbst und allen anderen immer wieder erzählen, wir seien souveräne Akteure unseres Schicksals. Das halte ich für Unsinn. Mein literarischer Lehrmeister ist in dieser Frage Max Frisch, besonders das Stück „Biographie: ein Spiel“, in dem ein Mann die Möglichkeit bekommt, alles anders zu machen. Aber letztlich handelt er immer wieder gleich. Man kann dazu sagen, das sei pessimistisch, aber ich finde, Frisch gibt die einzig richtige Antwort: Um anders handeln zu können, als man gehandelt hat, müsste man ein anderer sein. Das Empörende an dem, was Sie Passivität nennen, ist ja, dass sie nicht zu dieser Männerrolle passt. Aber ich finde, das Einzige, was man Georg vorwerfen kann: dass er zu spät Nein sagt. Wobei dahinter ja ein sympathisches Verständnis von Beziehung steckt: Beziehung heißt für ihn, eine Verpflichtung einzugehen und nicht bei der geringsten Unbequemlichkeit aufzugeben.

In Ihrem Beitrag für die Zeitschrift „Wespennest“, den Sie in Wien lesen werden, stehen vier Männer im Mittelpunkt, die verheiratet sind und keinen Sex haben. Und auch Georg hat jahrelang keinen Sex, obwohl er eine Freundin hat.

Die Abwesenheit von Sex ist ein Tabu. Dort kommt kein Licht hin. Der Mann, heißt es, geht einfach in so einem Fall, der lässt sich das nicht gefallen. Aber das stimmt eben heute nicht mehr, und darum erzähle ich von Männern, die aus verschiedenen Gründen bleiben. Ich habe während meiner Recherche für den Roman mit vielen Männern geredet, wobei es im Übrigen ein Klischee ist, dass Männer nicht über ihr Inneres sprechen. Wenn sie es nicht tun, hat man ihnen vielleicht einfach die falschen Fragen gestellt. Jedenfalls ist das Thema sehr schambehaftet, die Männer sind unsicher, sie haben das Gefühl, sie sind vielleicht einfach das falsche Objekt. Das ist ja eine sehr kränkende Erfahrung. Wenn man mit ihnen über ihre Frauen spricht, kommt meist heraus, dass diese erstens durch den Beruf gestresst sind, und zweitens, dass sie durch die Kinder gestresst sind. In der Summe erscheinen Frauen sehr fehlerunfreundlich. Sie wollen alles auf allen Ebenen richtig machen. Das ist aber eine Ideologie des Gelingens. Es müsste eine Ideologie des gelassenes Misslingens geben.

Und der Sex in der Ehe, den es gibt? Über den wird in der Literatur auch selten geschrieben.

Filme hören auch meist mit der Hochzeit auf. Darum mag ich Flauberts „Madame Bovary“ – er wurde gefragt, ob er über etwas so Langweiliges wie eine Ehe schreiben könne. Und er hat gesagt: Das kann ich.

Was an Ihrem Buch tröstet: dass die Kinder Georgs trotz der schmerzhaften Scheidung der Eltern alle ihren Weg finden.

Ich bin als Schriftsteller ein Optimist. Es ist mir wichtig, dass es einen Ort gibt, an dem die Möglichkeit der Freiheit verhandelt wird. Ob es dann die große Freiheit wird, steht auf einem anderen Blatt.

ZUR PERSON

Michael Kumpfmüller, 1961 geboren, lebt in Berlin. Sein erster Roman, „Hampels Fluchten“, erschien 2002, in „Die Erziehung des Mannes“ (Kiepenheuer & Witsch 2016) schreibt er über die (gescheiterten) Beziehungen eines Komponisten, von Scheidungsdramen, Neuanfängen und den Problemen einer Patchwork-Familie.

Am 7. Juli
liest Michael Kumpfmüller in der Alten Schmiede seinen Beitrag „Die Hungerkünstler“ für die jüngste Ausgabe der Literaturzeitschrift „Wespennest“, die dem Thema „Testosteron“ gewidmet ist (19 Uhr, Wien 1, Schönlaterngasse).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2016)

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