Ein Weckruf aus Texas an Europa

(C) Doubleday
  • Drucken

George Friedman über Krisenherde, die den Kontinent bedrohen könnten.

Reich zu sein und zugleich schwach zu sein ist eine gefährliche Kombination.“ George Friedman, der das festhält, meint damit nicht irgendwelche Millionäre, sondern er beschreibt damit den heutigen Zustand Europas. Dieses Europa wolle sich nicht eingestehen, dass es in einer Welt voller Wölfe lebe: „Einige lauern bereits draußen, weitere werden auftauchen.“

Praktisch jedes Land, das sich zu einer militärischen Macht aufschwingen wolle, könne den Europäern die Pistole an die Brust setzen: „Kauft euch den Weg frei, ignoriert das Problem in der Hoffnung, dass es von allein verschwindet, oder kapituliert.“ Die Europäer berauben sich selbst dabei immer mehr ihrer Möglichkeiten, sich zur Wehr setzen. Wehe, wenn ihnen die USA via Nato nicht mehr sagen, wo es sicherheitspolitisch entlanggehen soll.

Das ist gewiss eine sehr amerikanische Sicht der Dinge, aber deswegen nicht falsch. Friedman, ein ungarischstämmiger Jude, ist Gründer und langjähriger Leiter der texanischen Denkfabrik Stratfor, spezialisiert auf geopolitische Prognosen. Viele seiner Vorhersagen sind wirklich ein bisschen gar voreilig: Die EU stecke in einer schweren Krise, sie stehe unausweichlich vor ihrem Scheitern und werde nicht zu ihrem Gleichgewicht zurückfinden: „Das kann sie nicht, weil ihre Probleme struktureller Natur sind.“

Werden Deutschland und Russland abermals eine gemeinsame Linie auf Kosten jener Länder finden, die zwischen ihnen liegen? In Polen und in den baltischen Staaten ist diese Angst latent, aber glaubt Friedman tatsächlich, dass die Deutschen die Lektionen der Geschichte wieder vergessen werden? Er schreibt ja selbst: „Es gibt kein Land in Europa, das nicht schlechte Erinnerungen an Deutschland hat. Selbst die Deutschen haben schlechte Erinnerungen an sich selbst.“

Trotzdem: Friedmans Betrachtungen zu Europa sind überaus lesenswert. Schließlich geht es ihm nicht um Schadenfreude, sondern um einen Weckruf an den Kontinent seiner Herkunft. (b. b.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.