Eine Geschichte von Liebe und Hass

Sarit Yishai-Levis Buch war in Israel ein Bestseller.
Sarit Yishai-Levis Buch war in Israel ein Bestseller.(c) Elad David, courtesy of Olam Haisha Magazine
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In "Die Schönheitskönigin von Jerusalem" erzählt Sarit Yishai-Levi die Entstehung Israels parallel zum Schicksal der Sepharden-Familie Ermoza.

Gabriela heißt sie, die Ich-Erzählerin in „Die Schönheitskönigin von Jerusalem“. Ihre Geburt fällt zusammen mit der Wiederauferstehung des Volkes Israel. Am 29. November 1947 sitzt die sephardische Familie Ermoza gespannt um ihr Radiogerät im Jerusalemer Viertel Ohel Mosche. Just in dem Moment, in dem klar wird, dass die UNO-Vollversammlung den Plan eines jüdischen und eines arabischen Staates angenommen hat, die verhassten Engländer endlich Palästina verlassen werden und sich die Familie gerade aufmacht, um mit den anderen auf dem Zion-Platz zu feiern, spürt Gabrielas Mutter Luna die erste Wehe. Und anstatt das zu tun, was sie am liebsten tut, ausgelassen bis in die Morgenstunden zu tanzen, muss die schönste Frau Jerusalems ins Krankenhaus, um ihre Tochter zu gebären. Es ist der Beginn einer wunderbaren Feindschaft.

Luna Ermoza ist die zentrale Figur in Sarit Yishai-Levis autobiografisch gefärbtem Roman „Die Schönheitskönigin von Jerusalem“. In Israel wurde das Buch ein Renner, verbrachte 108 Wochen auf den Bestsellerlisten, wurde großzügig mit Amos Oz' „Geschichte von Liebe und Finsternis“ verglichen und erreichte jetzt auch den deutschen Sprachraum. Yishai-Levi erzählt darin die Entstehung Israels durch die Augen von vier Generationen der spaniolisch-sephardischen Familie Ermoza: Angefangen bei Urgroßvater Rafael, der ein gut gehendes Delikatessengeschäft im Jerusalemer Machane-Jehuda-Markt gründet, bis hin zu seiner Urenkelin Gabriela, die vor ihren eigenen und den Geistern ihrer Familie in ein drogenschwangeres Londoner Bedsit flieht.

Verfluchte Erstgeborene. Und Geister gibt es genug in der Familie Ermoza. Da hilft es auch nicht, dass alle ständig „pishkado y limón“ murmeln – „Fisch und Zitrone“ –, die spaniolische Abwehrformel, um die Toten nicht zu erzürnen. Denn auf den Erstgeborenen der Familie lastet offenbar ein Fluch: Sie lieben leidenschaftlich – allerdings nicht die Männer oder Frauen, mit denen sie verheiratet sind.

Das beginnt mit Uropa Rafael, der den blauen Augen einer jungen Aschkenasin aus dem orthodoxen Viertel Mea Schearim verfällt. Er respektiert, dass er als Sepharde keine Aschkenasin heiraten kann und ehelicht die für ihn ausgewählte Merkada. Sein Sohn Gabriel hingegen, den dasselbe Schicksal ereilt, möchte mit der Tradition brechen und sogar die Ächtung durch seine Familie in Kauf nehmen. Doch ehe es zu dieser Kraftprobe kommt, stirbt Rafael an gebrochenem Herzen. Merkada rächt sich an ihrem Sohn und verheiratet ihn mit der mittellosen und ungebildeten Waisen Rosa. Diese liebt und bewundert Gabriel, wird von ihm aber kaum wahrgenommen. Seine ehelichen Pflichten erfüllt er nur, um Kinder zu zeugen. Drei Mädchen überleben, bald in ganz Jerusalem bekannt, vor allem die schöne Luna mit den meergrünen Augen.

Im Gegensatz zu ihren Schwestern Rachelika und Bekki ist Luna kalt wie „pishkado y limòn“. Vor allem ihre Mutter hasst das Mädchen mit derselben Leidenschaft wie es seinen Vater liebt. Als Luna selbst mit David einen Mann heiratet, dessen Herz ebenfalls jemand anderem gehört, wiederholt sich das Schicksal: Gabriela wird geboren und die nächste vergiftete Mutter-Tochter-Beziehung nimmt ihren Lauf.

Sarit Yishai-Levi greift in „Die Schönheitskönigin von Jerusalem“ ein Thema auf, das auch andere israelische Autoren wie etwa Lizzie Doron immer wieder behandeln: die Unfähigkeit der Eltern, offen mit ihren Kindern zu sprechen; Geheimnisse, die Generationen einander entfremden. Konvention steht für Sicherheit und deshalb gerade in der Gründergeneration Israels hoch im Kurs, Familie ist alles, Liebe hingegen Luxus. Und den können sich in Sarit Yishai-Levis Roman nur die stärksten Frauen leisten.

Neu Erschienen

Sarit Yishai-Levi
„Die Schönheitskönigin von Jerusalem“

Übersetzt von Ruth Achlama

Aufbau Verlag

618 Seiten

23,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2016)

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