Philosophicum Lech: Wie man nicht aus der Welt fällt

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Man spricht wieder über Gott und die Welt. Beim Philosophicum Lech, wo das explizit das Thema war, wurde auffällig oft der deutsche Idealist Friedrich Wilhelm Joseph Schelling zitiert - wie auch das von Sigmund Freud verleugnete "ozeanische Gefühl".

„Ja, aus der Welt werden wir nicht fallen. Wir sind einmal drin.“ Das sagt in Christian Grabbes Drama „Hannibal“ der Titelheld, bevor er sich selbst vergiftet. In seinem „Unbehagen in der Kultur“ zitiert Sigmund Freud diesen Satz kopfschüttelnd: Er könne „dieses Gefühl der unauflösbaren Verbundenheit, der Zusammengehörigkeit mit dem Ganzen der Außenwelt“ in sich nicht entdecken, richtet er seinem Freund, dem Dichter Romain Rolland, aus, der dieses „ozeanische Gefühl“ als eigentliche Quelle der Religiosität gewürdigt habe.

"Religiös unmusikalisch"?

Beim Philosophicum Lech, das sich wie jedes ehrliche philosophische Symposium dazu gezwungen sieht, Philosophiegeschichte zu wiederholen, führten Konrad Paul Liessmann und Peter Strasser (Uni Graz) diesen freundschaftlichen Disput quasi in Sketchform auf. „Ein geistiges Auge gibt uns die Gewissheit, dass alle Spaltung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen uns und der Welt eine Illusion ist“ hatte Strasser in seinem Vortrag („Die Welt als Schöpfung betrachtet“) gesagt – und, Walker Percys Roman „Moviegoer“ zitierend, den Schrecken geschildert, der entstehe, wenn einem die Naturwissenschaft eine geordnete Welt beschreibt, von der man sich plötzlich ausgeschlossen fühlt. Er kenne das Gefühl nicht, dass man außerhalb der Welt ist, kommentierte Liessmann, worauf Strasser knapp replizierte: „Du bist eben religiös unmusikalisch.“

Lob des Luxus

„Aber dafür hast du eine schöne Krawatte“, tröstete Lambert Wiesing (Uni Jena) ihn rasch, ein Motiv seines eigenen, ziemlich geistreichen Vortrags aufnehmend, in dem er erklärt hatte, dass Luxus (z.B. einer Krawatte, noch dazu einer getupften), gerade weil er nicht sinnvoll ist, den Menschen seine Freiheit spüren lasse.
Dandy-Philosophie? Immerhin beruft sich Wiesing auf Schiller, der meinte, die wichtigste Frage der Philosophie - „Was ist der Mensch?“ - lasse sich nur durch ästhetische Erfahrungen beantworten. Für Schiller war dies das Spiel, für Wiesing ist es eben der Luxus. Dass er seinen Vortrag „Luxus – eine Weltbeziehung“ nannte, war wohl die leicht ironische Erfüllung der Vorgabe des heurigen Generalthemas, das natürlich auch mit seiner ironischen Deutung kokettiert: „Über Gott und die Welt“.

Preis der Resonanz

Ja. die Welt. Ein anderes Weltverhältnis forderte der Soziologe Hartmut Rosa, der für sein Buch „Resonanz“ heuer den Tractatus, den Essayistik-Preis des Philosophicums, erhielt: Er entdeckt einen Lieblingsbegriff der ersten New-Age-Generation neu und will uns damit die Welt zurückholen, die uns zu entgleiten drohe, gerade weil die Naturwissenschaft sie erreichbar, beherrschbar, berechenbar gemacht habe. Für eine Post-Wachtumsgesellschaft, gegen Übersexualisierung, gegen Smartphones: Rosa lässt kein antimodernes Klischee aus.

"Die Welt gibt es nicht"

Da schon lieber die schnoddrige Speed-Anti-Metaphysik von Markus Gabriel (Bonn), dessen Vortragsstil verständlich machte, dass er von Kollegen gern „MG“ genannt wird. „Da ich Weltanschauungen und Weltbilder jeglicher Provenienz für schädlich halte, ist es mein zentrales Anliegen, diese prinzipiell aus den Angeln zu heben“, schreibt er schon auf der Klappe seines Buches „Sinn und Existenz“. Das tut er, arg verkürzt gesagt, indem er feststellt, dass es keine Beschreibung aller Beschreibungen geben könne. „Die Welt gibt es nicht“, konstatierte er, „damit komme ich zu Gott.“ Der genauso obsolet sei wie die Natur der Naturwissenschaften. Die deutschen Idealisten hätten gewusst: „Gott darf nicht in der Welt verschwinden, sonst verliere ich meinen Lehrstuhl.“ Und über die Philosophen, die sich heute noch mit Gottesbeweisen befassen, weiß Gabriel: „In dem Moment, wo sich Gott in einer Paradoxie verwirrt hat, schraubt man am Gottesbeweis herum.“

Umgekehrtes Wunschdenken

Damit meinte Markus Gabriel gewiss auch seinen Vorredner Holm Tetens (Berlin), der zwar nicht Gott beweisen wollte, aber doch die Vernünftigkeit des Gottesgedankens. Den er vehement gegen Sigmund Freuds in „Die Zukunft einer Illusion“ erhobenen Vorwurf verteidigte, er entspringe nur einem Wunschdenken: „Sollen wir dem Naturalismus den Vorzug geben, weil er unsere Fragen pessimistisch beantwortet? Das ist umgekehrtes Wunschdenken!“ Im Wesentlichen argumentierte Tetens damit, dass uns der Gottesgedanke erlaube, uns als selbstbestimmte Ich-Subjekte zu verstehen.
Tetens sei Schellingianer, diagnostizierte Gabriel – und wurde postwendend von diesem gelobt. Gegen den Naturalismus, den Anspruch der Naturwissenschaft, alles Erklärenswerte zu erklären, sind sie sich immerhin einig; und beide reden über Gott und die Welt, für den einen existieren sie halt und für den anderen nicht . . .
Eine der vielen pointierten Wendungen Gabriels: Gott stehe vor seiner eigenen Grundlosigkeit, als Causa sui, wie es der Neuplatoniker Plotin nannte.

Gott im Koran

Doch der Gott der Neuplatoniker, nicht nur von Blaise Pascal überhaupt „Gott der Philosophen“ genannt, ist den meisten Gläubigen zu unpersönlich, zu unnahbar. Auch dem islamischen Theologen Mouhanad Khorchide, der an der Uni Münster Religionslehrer ausbildet. Der Gott des Korans, wie er ihn liest, ist ein personaler, kommunikativer Gott, ein Humanist, der Mitleid kennt, kein strikter Befehlshaber. Er, Khorchide, versuche die islamische Theologie von den Einflüssen des Neuplatonismus zu befreien, zeichne seinen Schülern einen liebenden Gott, der die Menschen – die im Islam nicht von einer Erbsünde belastet sind – in die Freiheit entlassen habe.

"Die anderen kommen in die Hölle"

Es gebe aber ein Problem mit der Vermittlung, gab Khorchide zu: Islamischen Jugendlichen der zweiten und dritten Generation in Deutschland sei gerade ein Gott, der Andersgläubige verdamme, sympathisch, weil ihnen das Identität in einer als feindlich empfundenen Umwelt gebe. „Wenn ich ihnen mit einem inklusivistischen Gott komme, desillusioniert sie das. Ihr Weltbild ist: Die anderen kommen in die Hölle.“ An die Khorchide übrigens - zumindest als materiellen Ort – nicht glaubt. Überhaupt habe er die Erfahrung gemacht, dass vielen Jugendlichen der Koran zwar viel bedeutet, sie aber ihn gar nicht kennen. „Manche tragen ihn sogar bei sich, können ihn aber nicht lesen.“

Heiße und kalte Religionen

Was Khorchide und Gleichgesinnte durchmachen, würde Rüdiger Safranski wohl als Versuch beschreiben, eine heiße Religion abzukühlen. In seinem fulminanten Vortrag – mit dem er das 20. Philosophicum beschloss, so wie er 1997 das erste Philosophicum eröffnet hatte – beschrieb er, realistisch, aber nicht fatalistisch, was passiert, wenn eine Religion abkühlt, vernünftig wird, an ernsthafter Transzendenz verliert. Es bleiben Versuche, Moral zu begründen, und Ästhetik: „Die religiöse Restwärme hat der Literatur und auch der Philosophie ihre Strahlkraft gegeben.“ Gewiss, die Entzauberung sei irreversibel, aber man müsse trachten, den Kontakt zum Feuer, zum transzendenten Ursprung nicht ganz zu verlieren: „Es ist wichtig, den Fuß in der Tür zu behalten, damit sie nicht vollends zufällt. Denn dann sitzen wir in der Falle. Am Ende der Säkularisierung droht die Platzangst.“

Hier droht Solipsismus

Es könnte gut sein, dass Safranski damit das gleiche meint wie Strasser mit seiner Angst, sich außerhalb der erklärten Welt zu fühlen, als unter Larven einzige fühlende Brust sozusagen. Solchem Solipsismus, der ja auch dem konsequenten Kantianer dräut, entgegen wirkt ein Satz von Schelling, den Safranski immer wieder zitiert (und der übrigens auch im skurrilen Porno-Philosophie-Roman „Das Schelling-Projekt“ von Peter Sloterdijk zentral ist): „Im Menschen schlägt die Natur ihre Augen auf und bemerkt, dass sie da ist.“
Wie kann man aus einer Welt fallen, die – auch wenn es sie eigentlich nicht geben mag – einen als Sinnesorgan braucht? Wie einen Gott verlieren, der auf Menschen angewiesen ist? So endete das 20. Philosophicum bei prächtigem Wetter und mit geradezu restaurativem Optimismus. Eine Lehre aus Lech 2016: Man muss nicht über Resonanz räsonieren, der gute alte deutsche Idealismus tut's auch.

2017: Faulheit als Thema

Zum Abschluss, vor dem traditionellen Vorarlberg-Brunch (u.a. mit ontologisch einwandfreiem Gurkensalat) wurde feierlich das Thema des nächstjährigen Philosophicums (20.-24.September 2017) verkündet. Es lautet: "Mut zur Faulheit. Die Arbeit und ihr Schicksal".

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