Eine Stadt liegt auf der Couch: Anleitung zum Wien-Hassen

(c) Schwarzkopf & Schwarzkopf
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Journalist Markus Lust hat 111 Gründe gesammelt, Wien zu hassen. Doch der gebürtige Linzer hat so etwas wie eine Liebeserklärung an die Stadt verfasst.

Gerade wieder wird eines dieser Städte-Rankings geteilt, in dem Österreich sich auf den vordersten Rängen findet. Der britische „Guardian“ hat die elf sichersten Länder gelistet, und Österreich belegt Platz drei. Der Artikel, der nach wie vor in sozialen Netzwerken herumgereicht wird, als würde jedem Österreicher persönlich ein Preis dafür gebühren, ist bereits im Juni erschienen. Das macht den Postern und Sharern nichts. Selbst sonst distanziert-herablassende Österreicher sind sichtlich gerührt, wenn jemand von außen ihrem Land eine gute Note ausstellt.

Es sind diese fast schon inflationär gewordenen Listen, die den Journalisten Markus Lust dazu veranlasst haben, sich einmal genauer anzusehen, was hinter dieser Schönfärberei steckt. Schon seit einiger Zeit erfreut sich nicht nur Österreich, sondern auch die Hauptstadt Wien einer besonderen Beliebtheit im Ausland. Die Stil-Fibel „Monocle“ von Journalist Tyler Brûlé hat vor über einem Jahrzehnt mit der Lobhudelei begonnen, im Vorjahr hat das „Zeit Magazin“ der Stadt ein verklärt-verliebtes Stadtporträt gewidmet, das unter echten Wienern eher Naserümpfen ausgelöst hat. Die niedrigen Mieten, die hochgelobte Kaffeehauskultur, das vermeintlich entspannte Lebensgefühl in der Stadt hört sich für Menschen, die schon lang hier leben, eher wie ein Märchen an. Lust, im Hauptberuf Chefredakteur von Vice Österreich, hat also für den Onlineauftritt seines Magazins einen Artikel geschrieben, der das Gegenteil behauptet: „Gründe, warum Wien die beschissenste Stadt der Welt ist“ und ein Folgeartikel wurden 2014 zu den meistgeteilten und -kommentierten Texten des Magazins. Und prompt stand irgendwann der deutsche Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf da und fragte Lust, ob er nicht gleich ein ganzes Buch für dessen Serie „111 Gründe, eine Stadt zu hassen“ verfassen wolle.

Die Ambivalenz der Wiener

Und er wollte. Die anderen Bücher aus der Serie (von Hamburg bis München) hat er nicht vorab gelesen. Er begab sich auf die Suche nach den titelgebenden 111 Gründen, „zuerst waren es zu wenig und dann ganz schnell zu viel“. Das Buch entstand dann an drei langen Wochenenden. „Das waren keine angenehmen Tage, aber das passt ja auch irgendwie zu dem Thema.“

Lust listet Dinge auf, die man sowohl als echter wie auch als zugereister Wiener kennt. Den laxen Umgang mit dem Rauchen und der Nazi-Vergangenheit, die Ladenöffnungs- oder eher -schließzeiten an Sonntagen, zum Beispiel. Lust behauptet aber auch Dinge, die eingefleischte Wiener vehement bestreiten dürften: dass Würstelstände etwa viel schlechter sind als ihr Ruf. Genau diese Ambivalenz, sagt er, mache den Wiener aus: Er selbst darf über seine Stadt schimpfen, aber wehe es tut jemand anderer. Dann wird der Wiener ungemütlich.

Lust legt die Stadtbewohner auch auf die Couch und attestiert ihnen, dass sie ängstlich, morbid, knausrig und neidisch sind. Und unehrlich. Das sei der größte Unterschied zwischen Wienern und Österreichern aus anderen Bundesländern, sagt er.

Dass Lust sich nach 15 Jahren in der Stadt zwar Wiener nennt („Vielleicht bin ich gern mitgemeint.“), aber eigentlich kein echter ist, erkennt man an dem Kapitel über den Wind. Nur Nichtwiener jammern über ihn, die Urwiener kennen es nicht anders. Lust selbst ist gebürtiger Linzer und gibt zu, dass viele Dinge, die er in seinem Buch auflistet, auf ganz Österreich zutreffen würden. Es gebe dann aber eben doch einiges, was typisch für Wien und seine Bewohner sei. „Linzer sind zum Beispiel viel aufrichtiger als Wiener. Und in den Augen der Wiener wirkt man immer irgendwie dümmer.“

Bei 111 Gründen kann man in die Tiefe gehen. Es ist Lust zugute zu halten, dass er auch politische Themen nicht ausspart und etwa über den Akademikerball, Straßennamen, das konservative Frauenbild und den Umgang mit der Nazi-Vergangenheit schreibt. Und auch, wenn nur einer der vielen Gründe, nämlich der letzte, positiv ist („Weil man Wien trotz allem einfach lieben muss“), spürt man bei der Lektüre, dass Lust diese, seine Stadt nicht nur gut kennt, sondern sie auch wirklich gern hat.

Termin

Markus Lust (* 1982) ist gebürtiger Linzer, lebt seit 15 Jahren in Wien und ist Chefredakteur von Vice Österreich. Sein Buch „111 Gründe, Wien zu hassen“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 225 Seiten) stellt er heute, Mittwoch um 19 Uhr im Schikaneder-Kino (Margaretenstraße 22–24) vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2016)

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