Die Wut der Zeit ist tief - spült sie ins Häuslein!

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"Anger Rooms" empfiehlt man in den USA nach den Wahlen. Heimito von Doderer hatte in den "Merowingern" noch viel bessere Ideen gegen den störenden Affekt: über Wutmärsche, Prügelkuren und hochtechnologische Wuthäuslein.

Dass Menschen dafür zahlen, dass sie zwischen schalldichten, dick gepolsterten Wänden auf Schaufensterpuppen, abgenutztes Mobiliar, kaputte Drucker oder Kaffeetassen eindreschen dürfen – dieses Phänomen war bis vor Kurzem nur als exotisches Kuriosum berichtenswert. Jüngst hat die „New York Times“ aber diese „Anger Rooms“ fast allen Ernstes ihren Lesern ans Herz gelegt – die einer Umfrage der Zeitung zufolge seit der Wahl mehrheitlich in tiefsten Pessimismus verfallen sind.

Eigentlich wurden diese Wuträume zum Abbau von Stress jeder Art gegründet. Rund um den amerikanischen Wahlkampf, wird freilich berichtet, kamen besonders viele an politischer Wut leidende Kunden. New Yorker fuhren, heißt es, extra nach Toronto, um dort die Namen der ihnen verhassten Kandidaten auf Schilder zu schreiben und sie dann gegen die Wand zu schleudern. (Ob mehr Trump- oder mehr Clinton-Schilder darunter waren, wird nicht berichtet.)

Wer hätte gedacht, dass der Wiener Wuttherapeut Professor Horn noch einmal so modern werden würde? Zumal im doppelten Jubiläumsjahr seines Schöpfers Heimito von Doderer (der vor 120 Jahren geboren und vor 50 Jahren gestorben ist)? Zu Horns Therapieangeboten für Menschen, die nicht wissen wohin mit ihrer Wut, zählt im grotesken Roman „Die Merowinger“ der Wutmarsch. Dabei wird der rhythmisch zu emotional geeigneter Musik stampfende Patient mithilfe von Zange und Schnur buchstäblich an der Nase herumgeführt. Nicht zu vergessen dabei – die „Application von Paukenschlögeln“: In Taschen an der Wand hat der Wuttherapeut Professor Horn eine Batterie von „Pauken- und Trommelschlögeln, Klöppeln, Klöpfeln und hölzernen Hämmern“, mit deren Hilfe er den Rhythmus elegant auf den Patienten-Schädel haut.

Brülltrichter und Gummipolster

Natürlich gibt es, wie in den heutigen „Anger Rooms“, jede Menge Sachen zu zerschlagen – in diesem Fall billige Porzellan- oder Steingutfiguren. Später ersetzt Horn sein Figurenzimmer durch technisch hoch innovative, gummigepolsterte Wuthäuslein mit ausfahrbarem Brülltrichter. Die gebe es auch heute noch in vielerlei Gestalt, sagt der Erzähler, denn: „Die Wut des Zeitalters ist tief.“

Der Satz könnte über dem Wahlkampfjahr 2016 in den USA wie in Österreich stehen, über den Debatten rund um die Flüchtlingspolitik, oder über den neuen „Wut“-Texten Elfriede Jelineks; in ihnen geht es ebenso um die blinde Wut islamischer Terroristen wie um „aufrechte“ Europäer und europäische Wutbürger, antike Wüteriche wie Herakles, die Wut-Hungrigen und die Wut-Dealer.

Dass die schriftlichen Wutorgien in Foren und sozialen Netzwerken, so schockierend sie sein mögen, auch wohltuend wutabführend wirken können, zeigte ein Leserbrief, der kürzlich beim Online-Team der „Presse“ einlangte. Ein Poster bedankte sich darin dafür, dass „Sie ein bisschen auf mich aufpassen“ und „außer Kontrolle geratene“, „in der ersten Rage“ entstandene Postings nicht sofort veröffentlichen. Diese seien eine Art, seinen Ärger loszuwerden, der meist „mit dem Drücken der Enter-Taste verrauche“, vielleicht sogar eine Art Psychotherapie – und „billiger als der Psychologe, den ich nach der Lektüre der diversen Tageszeitungen aufsuchen müsste“.

Rage, Wut oder – wie in den „Merowingern“ gern verwendet – Grimm spielen im „Kontinent Doderer“ (so der Titel von Klaus Nüchterns schönem neuem Doderer-Buch) eine große Rolle. Doderer hatte Erfahrung mit ihr, er war bekennender Choleriker. Sein Roman zeigt auch, wie kritisch er diesem Affekt gegenüberstand. Wut sei „die katastrophalste Form der Apperzeptions-Verweigerung“, heißt es da; gemeint ist die Neigung, sich etwas vormachen zu lassen, das Gegenteil eines selbstständigen und unvoreingenommen Erfassens der Welt. „Nichts gibt so sehr das Gefühl von Unendlichkeit als wie die Wut“, wandelte Doderer-Experte Wendelin Schmidt-Dengler denn auch Ödön von Horváths Satz „Nichts gibt so sehr das Gefühl von Unendlichkeit als wie die Dummheit“ ab. Die Wut ist in den „Merowingern“ der Dummheit verwandt, sie ist eine „panische Flucht aus dem Leben, eine Form von Selbstmord, bei der einer, statt sich selbst, alle anderen umbringen möchte“.

Auch eine Therapie: Die „Bewatschung“

Nicht (nur) Konfrontation mit der Realität, sondern (auch) Flucht: Das trifft die Zweischneidigkeit von Wutdiskursen. Was Alter und sozialen Status angeht, erinnern Doderers Wüteriche freilich nicht an typische Internet-Wüteriche. Schwierigster Patient des Professors ist das schon ältere und noch viel älter („greisenhaftes Beutelchen“) aussehende Männchen Childerich von Bartenbruch, später und steinreicher Spross des Merowingergeschlechts. Er und seine aristokratischen Verwandten können sich, finanziell wie sozial, alle Formen der Wuttherapie leisten. Inklusive der ebenfalls von Horn empfohlenen „Verprügelung“ und „Bewatschung“ anderer.

Das Internet hingegen, diese weniger harmlose Variante des Doderer'schen Wuthäusleins, ist fast gratis, die darin kursierende Wut nicht die der Mächtigen. Aber auch wenn ständig von Verrohung die Rede ist: Doderers Helden, die sich durch den Roman prügeln und knüppeln, erinnern daran, dass das verbale Toben in den virtuellen Räumen im Vergleich dazu – ja, eine immer noch vergleichsweise sublimierte Ausdrucksform ist.

Aber nicht nur deswegen kann es tröstlich sein, dieser Tage die „Merowinger“ zu lesen. Kein Roman des sonst so streng komponierenden Autors ist nämlich so locker wie dieser „Mordsblödsinn“ (Doderer). Als hätte die Wut ihn entfesselt, in doppeltem Sinn. Besser gesagt, das Spiel mit der Wut; man sollte es vermutlich gerade dann beginnen, wenn sie am größten ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2016)

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