John Wray: "O Gott, auch noch der Klimt!"

„Gehen ist die Lösung für fast alles“: John Wray in der kuriosen Familienvilla in Friesach.
„Gehen ist die Lösung für fast alles“: John Wray in der kuriosen Familienvilla in Friesach.(c) Peter Regaut Fotography
  • Drucken

US-Autor John Wray über seine Kärntner Wurzeln,Trump-Wähler in Buffalo, die Cheering-Sessions amerikanischer Verlage und seine allzu erfundenen „New York Times“-Artikel.

Ihr neuer Roman „Das Geheimnis der verlorenen Zeit“ ist voller aberwitziger altösterreichischer Geschichten und verrückter Physik: Im Znaim der Monarchie entdeckt Gewürzgurkenbauer Toula das Geheimnis der Zeitkrümmung, im heutigen New York sitzt Nachfahr Waldemar und muss durch Ahnenforschung aus seiner Blase angehaltener Zeit herausfinden . . . Ihre Mutter ist Österreicherin, haben Sie für den Roman in der eigenen Familiengeschichte gekramt?

John Wray: Znaim habe ich gewählt, weil in unserer Familie der Ururgroßvater eine wichtige Rolle spielt, er hieß tatsächlich Toula. Er kam aus einem winzigen Dorf bei Znaim und einfachsten Verhältnissen, brachte es aber sehr weit, studierte Geologie, lehrte an der Technischen Hochschule, wurde von Kaiser Karl geadelt und übersiedelte um 1870 nach Wien. Ein Arzt hat ihm für seine Töchter Alpenluft angeraten, also sind sie in die Südbahn gestiegen und haben spontan in Kärnten, in Friesach, ein Haus gekauft.

Die Wünschmann-Villa. Sind Sie oft dort? Sie leben ja in Brooklyn.

Ja, ich gehöre zur achten Generation in dem Haus, es war ein Bauernhaus und wurde um die Jahrhundertwende in ein merkwürdiges Schlösschen umgebaut, eine Kitschbude. Meine Großmutter ist sogar Friesacherin. Ich bin oft dort und hatte dort die vielleicht produktivste Schreibzeit meines Lebens. Ich wandere dort immer, dabei löst sich so vieles von selbst. Manchmal denke ich mir, das ist die Lösung für alles, würde jeder Mensch täglich eine Zeitlang gehen, gäbe es keine Probleme auf der Welt.

Hat Ihre Familiengeschichte also den Anstoß zum Roman gegeben?

Ich wollte sie als Rohmaterial verwenden, aber ich kann mich nie an die Realität halten, bin immer weiter abgekommen. Ich komme ganz schnell ins Erfinden, das ist manchmal sogar problematisch. Ab und zu schreibe ich für die „New York Times“ Artikel, da muss ich mich extrem beherrschen, die Verlockung ist so groß, etwas zu erfinden, damit es schöner wird.

Karl Wittgenstein, Klimt und etliche weitere Prominente der Wiener Jahrhundertwende verkehren mit der Familie Ihres Romans. War diese wirklich auch so prominent?

Nein, auch wenn mein Ururgroßvater in der „Fackel“ verspottet wird, weil er so langweilig war. Aber wir waren keine prominente Familie. Ich wollte auch den Klimt nur hineinnehmen, damit ich mich über ihn lustig machen kann . . .

Waldemar vergleicht seine Bilder mit „buttergetränkten Donuts“ . . .

Ja, ich kann dieses Übersüße nicht ausstehen. Mir hat die Vorstellung gefallen, dass im Roman ein Österreicher den „Meister“ daherkommen sieht und sich denkt – o Gott, jetzt kommt auch noch der Klimt daher . . .

In neueren Romanen kommt auffallend viel moderne Physik vor, nicht nur bei Ihnen oder Ihrem Freund Daniel Kehlmann . . .

Mich wundert eher, dass man nicht schon früher die Physik als Rohstoff verwendet hat, die Naturwissenschaft von heute hat so etwas Wildes, Unglaubliches, Absurdes. Don DeLillo hat mir gesagt, dass er sein Buch „Ratner's Star“, in dem es um Mathematik geht, gerade deshalb geschrieben hat, weil er wenig davon verstand. Es gibt so viele Bereiche, bei denen man das Gefühl hat, man darf nicht hin – und irgendwann fragt man: Ja, warum eigentlich nicht?

Was Sie über das alte Österreich schreiben, muss für viele Amerikaner sehr exotisch wirken. Ist das eher ein Vor- oder Nachteil?

Der Vorteil ist, dass man nicht über das Gleiche schreibt wie alle anderen, aber es hat auch große Nachteile. Man kann nicht annehmen, dass ein durchschnittlicher Amerikaner das Geringste über Österreich weiß. Wien vielleicht, Österreich nicht. Als Teenager hatte ich eine Karte von Island an der Wand, immer wieder haben Leute geglaubt, das ist Österreich. Wenn ich sage, meine Familie kommt aus Wien – was ja ein bisschen stimmt –, heißt es, oh, Vienna! Sage ich dagegen Österreich, werde ich oft gefragt, welche Sprache man dort spricht, oder man glaubt, das gehört zu Deutschland.

Wie kamen Sie zum legendären Literaturverlag Farrar, Straus and Giroux?

Meine ersten Sachen waren richtig schlecht, aber als ich in New York meinen ersten Roman anfing, ging alles wie von selbst, für mich bleibt das heute noch ein Geheimnis. Ich habe den Text meiner Mutter gezeigt, sie sagte: „It could be something, I mean, there's absolutely no style!“ Heute bestreitet sie, dass sie das kritisch gemeint hat . . . Jedenfalls wollte ich Feedback und habe einen Creative-Writing-Kurs belegt. Die Leiterin, Joyce Johnson, war in den Sechzigerjahren lange mit Jack Kerouac liiert, eine seltsame Person. Sie hat mir ihre Agentin vermittelt, danach ging alles wie von selbst.

Ihr Verleger, John Galassi, hat die Branche als Raubtierterrain bezeichnet, empfinden Sie das auch so?

Als Autor bleibt man etwas verschont. Das Schwierigste für mich ist, dass keiner einem ehrlich sagt, ob man seine Sache gut gemacht hat. Erst die Kritiker geben ihr Urteil ab. Beim Verlag ist es wie in einer Cheering-Session, man kriegt nur Positives zu hören, das ist in Amerika sehr ausgeprägt. Ich würde gern zuerst das Schlimmste hören.

Wie kam Ihre österreichische Mutter eigentlich nach Buffalo an der kanadischen Grenze, wo Sie aufwuchsen?

Sie hat Biologie studiert und auf einem Kongress in Wien meinen Vater kennengelernt, er stammt aus Kalifornien und hat viel über Leukämie geforscht. Ihre Familie war sehr dagegen, sie war sehr links, für sie war Amerika ein böses Land. Mein Großvater, der Dirigent und Komponist Theodor Wünschmann, war wohl auch ein Snob. Sie ging trotzdem, meine Eltern haben dann beide in Washington, D.C. bei den National Institutes of Health gearbeitet, damals die weltweit wichtigste Krebsforschungsinstitution. Aber mein Vater war ein schwieriger Typ, man hat ihn quasi rausgeschmissen. So sind wir in die Provinzstadt Buffalo an der kanadischen Grenze gezogen.

Verdanken Sie Ihr Deutsch Ihrer Mutter?

Nein, meiner österreichischen Großmutter aus Friesach, sie war jedes Jahr für sechs Monate bei uns und konnte kein Englisch. Meine Mutter hat im Gegenzug immer wieder gedroht, nach Österreich zurückzukehren, wenn ich zu ihr ungut war. Sie hatte sicher oft Heimweh und hat sich gefragt, ob das eine gute Entscheidung war. Allerdings ist sie eine große Verteidigerin von Buffalo. Über diese Stadt wird ja in den USA viel gewitzelt, es ist kalt und auch sonst genau das, was die Amerikaner nicht haben wollen. Auch ökonomisch ist es eine problematische Gegend.

Mit vielen Trump-Wählern?

In Buffalo hat Trump schon viele Fans. Aber das hat wenig mit Trump zu tun, die Leute sind so zornig. Je schlimmer, je hässlicher das Symbol für ihren Zorn ist, desto brauchbarer ist es.

Steckbrief

1971
Geboren als John Henderson in Washington, D.C. Sein Vater ist Amerikaner, seine Mutter Österreicherin.

2001
Sein Debütroman „The Right Hand of Sleep“ („Die rechte Hand des Schlafes“) erscheint unter dem Künstlernamen John Wray und erntet sehr gute Kritiken.

2005
„Canaan's Tongue“

2008
„Lowboy“ („Der Retter der Welt“)


ERSCHIENEN

„Das Geheimnis der verlorenen Zeit“
(„The Lost Time Accidents“) ist bei Rowohlt erschienen: 736 S., geb., € 27,80.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.