Des Meeres und der Liebe Wellen

Alles Leben kommt aus dem Wasser: der norwegische Autor Morten A. Strøksnes.
Alles Leben kommt aus dem Wasser: der norwegische Autor Morten A. Strøksnes.Alva Gehrmann
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Zwei Männer warten in einem Schlauchboot auf einen Eishai. Der norwegische Bestseller von Morten A. Strøksnes verbindet Abenteuerroman mit einem Sachbuch.

Zwei Männer brechen auf, um sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen. Im Norden Norwegens wollen sie einen Eishai fangen, ein fast mystisches Tier aus den Tiefen des Eismeers: „Wenn er vom Eishai erzählte, begannen seine Augen zu glänzen, und seine Stimme nahm einen besonderen Klang an“, heißt es in „Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen“, des Norwegers Morten A. Strøksnes.

Der Eishai lebt in der Tiefe norwegischer Fjorde bis hinauf zum Nordpol. „Er kann größer werden als der weiße Hai und ist damit der größte fleischfressende Hai der Welt“, berichtet Strøksnes. Nach einem Bericht des Wissenschaftsmagazins „Science“ kann der Eishai bis zu 400 Jahre alt werden. Nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch wegen seiner Stärke und Aggressivität muss man dem Meeresungeheuer mit äußerster Vorsicht begegnen.

Erzähler Strøksnes und sein Freund Hugo, ein erfolgreicher Künstler, der in den Norden Norwegens zurückgekehrt ist, lassen sich dennoch nicht abschrecken: „Koste es, was es wolle, wir würden ein solches gefräßiges Monster fangen, das viele Hundert Millionen Jahre Evolution auf dem Buckel hat, potenziell tödliche Giftstoffe im Blut, Parasiten in den Augen und Zähne wie an einem überdimensionierten Fangeisen, nur wesentlich mehr.“

Der perfekte Köder. Dafür sind umfangreiche Vorarbeiten erforderlich. Ein schottisches Hochlandrind, das auf einer der Inseln verendet, nachdem es der Schlachtung entsprungen ist, liefert den perfekten Köder. Während der Autor über den Tod („In unserem Teil der Welt haben die meisten Menschen vergessen, wie der Tod riecht“) und die Evolution nachdenkt, packt er richtig zu: „Ich ziehe Gummihandschuhe an und stopfe Eingeweide und Knochen in Plastiksäcke. Mir tränen die Augen, Fliegen schwirren um mich herum, und die Sonne scheint, als wäre heute ein wunderschöner Tag.“

So ausgerüstet machen sich die beiden Männer schließlich auf die Jagd nach dem Eishai. Mit vierhundert Metern Seil werfen sie Köder aus, an die verwesendes Rinderfleisch gespießt ist. Danach beginnt das bange Warten. „Irgendwo in der Tiefe schwamm er unter uns“, weiß der Erzähler.

Das Warten auf den Eishai bietet Strøksnes viel Zeit, über das Meer und seine Bewohner umfangreiche Betrachtungen anzustellen. Der Abenteuerroman „Moby Dick“ trifft die Werke des Meeresbiologen Rupert Riedl. Während Strøksnes anschaulich das Abenteuer und die Gefahren beschreibt, auf die sich die beiden Freunde einlassen, liefert er auch eine ungeheure Menge an Informationen, die von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen bis zu jahrhundertealten Darstellungen von gewaltigen Schreckenswesen reichen. In der schwarzen Tiefe des Meeres harrt ein Reichtum an Leben, dessen Erforschung erst am Anfang steht. Während die Menschen gelernt haben, bis an die Grenzen des Universums zu blicken, ist uns der Boden unter uns noch fremd.

Doch allein unter einem bleiernen Himmel und auf ungeheuren Wassermengen, die trotz aller menschlichen Geisteskraft und Erfindungen unbeherrschbar bleiben, wird der Autor immer wieder auf existenzielle Fragen zurückgeworfen. Dass sich der Eishai indes ungeniert an dem schottischen Hochlandrind delektiert ohne auch nur den Funken eines Gedankens über Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der Evolution, wirkt da fast schon erleichternd frech. Die beiden Jäger nehmen es ebenfalls mit Fassung – und Geduld. Sie wissen, was der Hai nicht wissen kann: Die Jagd wird erst zu Ende sein, wenn sie es bestimmen.

Bücher skandinavischer Autoren mit endlos langen Titeln erfreuen sich dieser Tage besonderer Beliebtheit. Strøksnes' Werk wurde nicht nur in seiner Heimat ein Bestseller, sondern mittlerweile auch erfolgreich in 15 Sprachen übersetzt. Es zeigt in eindringlicher Art die Richtigkeit der Aussage, dass alles Leben aus dem Wasser kommt. Wer mehr darüber erfahren will, dem sei dieses Buch dringend empfohlen.

Neu Erschienen

Morten A. Strøksnes
„Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen“

Übersetzt von Ina Kronenberger und Sylvia Knall
Deutsche

Verlags-Anstalt
363 Seiten, 20,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2016)

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