China: Wie man die Schreiber zum Schweigen bringt

(c) AP (Michael Probst)
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Am Mittwoch beginnt die Frankfurter Buchmesse, dessen Ehrengast heuer China ist. Eine kurze „Bedienungsanleitung“ zum chinesischen System der Zensur und Publikationskontrolle.

PEKING. In der „Bücherstadt“, dem gewaltigen Buchgeschäft nahe des Tiananmen-Platzes, drängen sich Kunden um Tische mit Bestsellern. Am Eingang stapeln sich Reden und Artikel von Expremier Zhu Rongji, daneben liegt der Titel „China ist unglücklich“, dessen fünf chinesische Autoren darüber klagen, dass die Welt ihre Heimat nicht verstehen wolle. Gleich in der Nähe ermutigen Biografien erfolgreicher US-Unternehmer ihre Leser, die eigene Zukunft in die Hand zu nehmen. Und ein Band mit Konfuzius-Zitaten gibt Lebenshilfe.

Über 200.000 Titel bietet das Flaggschiff der staatlichen „Xinhua“-Kette. Sie vermitteln einen Eindruck von der riesigen Menge an Schriften, die in China gedruckt werden: Neben tausenden Magazinen und Zeitungen kommen im Jahr rund 300.000 Bücher auf den Markt, davon die Hälfte Neuerscheinungen. Im Internet, und sogar per Handyliteratur, kommen täglich tausende Erzählungen und Romane dazu.

Frei publizieren dürfen Chinas Verlage nicht: Zensur ist Alltag. Daran hat jüngst der Eklat in Frankfurt im Vorfeld der Buchmesse erinnert, bei der China von Mittwoch bis Sonntag als Gastland im Zentrum steht. Als die kritischen Autoren Dai Qing und Bei Ling bei einem Symposium über „China und die Welt – Wahrnehmung und Wirklichkeit“ eine Erklärung abgaben, zog Pekings offizielle Delegation aus dem Saal. Bemerkenswert: Auch renommierte Autoren wie der berühmte Mo Yan folgten den Funktionären.

Staat hat Intellektuelle fest im Griff

Der Vorfall lässt erahnen, wie fest die KP die Intellektuellen trotz der privaten Freizügigkeit im modernen China im Griff hat und wie ausgeklügelt sie Schriftsteller, Journalisten und Blogger überwacht. Jeder von ihnen weiß: Wer sich zu weit vorwagt, muss damit rechnen, dass er in China nicht mehr publizieren darf, oder schlimmer, hinter Gittern landet, wie der Philosoph Liu Xiaobo.

Liu, Präsident des unabhängigen PEN-Clubs von China, zählt zu den Verfassern des Reformappells „Charta 08“, den tausende Chinesen unterschrieben haben. Nun droht ihm ein Prozess wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“.

In einem mächtigen Neubau in Peking sitzt das Presse- und Verlagsamt (GAPP). Es kontrolliert die Verbote und Tabus, vergibt Buchlizenzen und ist oberster Zensor. Heißt: Seine Funktionäre verbieten unerwünschte Titel entweder direkt oder sorgen mit Andeutungen oder Warnungen dafür, dass Verlage womöglich anstößige Themen gar nicht erst in ihr Programm aufnehmen.

Zu den mächtigsten Männern von GAPP gehört Wu Shulin, er steht im Rang eines Vizeministers und ist mitverantwortlich für Chinas Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse – gemeinsam mit Vertretern von einem Dutzend Ministerien und Ämtern.

Die GAPP-Sektion, die über genehme Bücher entscheidet, heißt „Büro für Publikationsmanagement“. Dort arbeiten, sagt Wu, „wenig mehr als ein Dutzend Leute“. Mehr seien nicht nötig; die Verlage müssten selbst entscheiden, welche Titel sie publizierten. „Wenn die Herausgeber unsicher sind, ob der Inhalt rechtswidrig sein könnte, holen sie sich bei uns den Rat von Experten.“

Das Zentrum der Zensur

Zu beanstanden seien von 150.000 Neuerscheinungen im Jahr weniger als 600, sagt Wu. Meist gehe es um „üble Kulte und Inhalte, die zur Untergrabung der nationalen Einheit Chinas führen oder zu Krieg aufhetzen“. Die vage Formulierung erlaubt es den Kulturwächtern, nach Belieben einzugreifen. Die Grauzone ist groß, die rote Linie der Verbote oft nur zu erahnen. Ein Presse- und Publikationsgesetz, das es Autoren und Verlagen erlaubt, ihre Rechte einzuklagen, gibt es nicht.

Hinter dem Stichwort „Untergrabung der nationalen Einheit“ verbergen sich viele Themen: die Hintergründe des Tiananmen-Massakers ebenso wie das Streben nach Unabhängigkeit in Taiwan, das Privatleben der KP-Führer sowie Nationalitätenkonflikte in Tibet und Xinjiang. Auch das Thema „Aids“ ist nicht erwünscht, wie der Autor Yan Lianke erfahren hat. Sein Roman „Der Traum meines Großvaters“ über den Aids-Skandal in der Provinz Henan darf in China nicht erscheinen. Häufig lässt GAPP heikle Sujets vorerst passieren. Erst, wenn sie auf Interesse stoßen, kommt das Verbot. So tragen die Verlage ein großes finanzielles Risiko, Bücher vom Markt zurückziehen und einstampfen zu müssen. Entschädigungen gibt es nicht.

Zwischen-den-Zeilen-Schreiben als Kunst

„Das Zwischen-den-Zeilen-Schreiben gehört seit Jahrhunderten zur hohen Kunst der chinesischen Literatur“, sagt Jing Bartz, Leiterin des deutschen „Buch-Informationszentrums“ in Peking, einer Filiale des Goethe-Instituts. Dazu gehört auch die Selbstzensur: Weil sie sich und den Verlagen Ärger ersparen wollen, umschiffen viele Schriftsteller heikle Themen lieber gleich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2009)

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