"Mir wurde gesagt, ich sei fremd"

Livia Klingl
Livia Klingl(c) Hadi Mohammadi
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Die Journalistin Livia Klingl hat für ihr neues Buch mit Persönlichkeiten über Fremde und Fremdheit gesprochen. Mit Österreichern erster, zweiter oder dritter Generation ebenso wie mit Flüchtlingen aus Ägypten oder Syrien. Wir bringen das gekürzte Kapitel über die gebürtige Bosnierin und Filmemacherin Nina Kusturica, die 1992 mit ihren Eltern vor dem Krieg floh und nach Wien kam.

Meine Mutter kommt aus Split in Kroatien, mein Vater aus einer muslimischen Familie in Herceg Novi in Montenegro. Aber wir wuchsen ja in Jugoslawien so auf, dass es überhaupt keine Rolle spielte, wo jemand herkam. Meine Eltern haben einander in Mostar kennengelernt, meine Mutter ist Schauspielerin, mein Vater Dirigent. Sie haben gemeinsam an einem Projekt gearbeitet. Meine Schwester und ich sind in Mostar auf die Welt gekommen, die dritte Schwester dann in Sarajevo, aus der zweiten Ehe von meinem Papa. Wir sind also aus einer gemischten Ehe. Meine Mutter heißt Ratka, rat heißt Krieg. Sie ist ein Kriegskind aus dem Jahr 1942. Damals waren die Italiener in Split. Man musste die Namen in der Geburtsurkunde auf Italienisch eintragen. Ihr Vater hieß Vjekoslav, die Italiener haben ihn auf Luigi umgetauft. Und meine Mutter wurde Guerrina getauft, guerra heißt auf Italienisch Krieg“, erzählt Nina Kusturica in perfektem Deutsch mit einem Hauch von Akzent.

Kriege haben sich durch ihre Familiengeschichte gezogen. „Wir sind durch einen Krieg nach Wien gekommen. Als ich 17 war, kam der Krieg nach Sarajevo. Wir sind dann nach Wien geflüchtet, weil meine Schwester hier Geige studiert hat. Sie war Ende der 1980er-Jahre hergekommen. Wir kannten den Busfahrer, denn meine Mutter hatte ihm immer Pakete mit Essen aus Sarajevo für meine Schwester mitgegeben. [. . .] Dieser Busfahrer hat uns in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Plätze reserviert, das war im April 1992. Mein Vater hatte da so ein Gespür, dass die Schießereien andauern würden.“ [. . .]

Das Leben in Wien habe sehr lange Zeit um ein Radio herum stattgefunden, um Nachrichten aus Bosnien zu hören. [. . .] „In Traiskirchen waren wir nicht, denn die gesamte Studentencommunity meiner Schwester hat uns im Studentenwohnheim der Musik-Uni aufgeteilt. Da war der Portier so nett und hat immer weggeschaut, wenn die große Familie da hineinspaziert ist und sich monatelang auf die Studentenzimmer aufgeteilt hat.“ [. . .] Ungefähr ein halbes Jahr habe es gedauert, bis sie verstanden habe, dass sie und ihre Familie länger bleiben würden. Denn es habe die ganze Zeit Bosnien-Friedensgespräche gegeben. „Dann war im Mai Ruhe in Sarajevo, und wir waren schon am Überlegen, schon in dieser Bereitschaft, in zwei, drei Tagen einen Bus zurück zu nehmen. Dann waren der Sommer und der Herbst ein Horror, und dann war klar, wir würden bleiben müssen. Ich spürte damals, das ist so eine kostbare Lebenszeit, die ich da habe, wenn ich jetzt in so einer Warteposition bleibe und nicht einen neuen Weg einschlage, dann würde ich Mitte, Ende 20 aufwachen, und der Krieg würde mein Leben bestimmt haben. Ich spürte, dass ich mich jetzt hier verorten soll. Die Themen ,fremd‘ und ,Ort‘ sind ja sehr verwandt. [. . .] Den Begriff ,fremd‘ kann ich an zwei Dingen festmachen. Das eine ist, dass mir das hier gesagt worden ist, dass ich fremd bin. Man fühlt sich ja nicht von sich aus fremd. Man ist ja das ganze Leben mit sich unterwegs“, lacht sie. „Man gewöhnt sich an sich selbst.“


Grundrecht auf Arbeit. „Meine Eltern und meine beiden Schwestern waren hier, das heißt, ich hatte ein familiäres Umfeld, in dem ich mich nicht fremd fühlte. Es gab auch ganz viele Menschen, die uns großartig willkommen hießen [. . .] Aber es gab auch sehr viele, die uns das Gefühl gegeben haben, dass wir von woanders sind, dass wir nicht von hier sind. Und dann gibt es die Gesetze, etwa das Gesetz, dass man nicht arbeiten darf. ,Warum darf ich nicht arbeiten?‘, fragt man sich. Warum wird mir dieses Grundrecht nicht gegeben, zu arbeiten, für mich selbst zu sorgen? Meine Eltern waren 50. Man hat sie nicht gefragt, was sie von Beruf sind, was sie können. Niemand, keiner hat sich für ihre Erfahrung, ihre Expertise interessiert. Ich arbeite irrsinnig gern und denke mir, es gehört zu einem normalen Leben dazu, arbeiten zu gehen. Das ist für mich ein Verbrechen, Menschen nicht arbeiten zu lassen. Da habe ich gespürt, ich werde anders behandelt, ich bin hier fremd, ich darf nicht, was die anderen dürfen, auch wenn ich es nicht verschuldet habe, dass ich da bin. Ich wurde vom Gesetz wie eine bestrafte Kriminelle behandelt. Der zweite Bereich des Fremdseins war das Gefühl, dass ich einerseits in diesen sicheren Straßen in dieser schönen Stadt mit spannenden Leuten unterwegs war und auch dieses spannende Studium [auf der Filmakademie, Anm.] machen durfte, andererseits aber ein großer Teil von mir noch sehr lang in Sarajevo blieb. Bis nach dem Krieg, danach erst konnte ich loslassen.“ [. . .]

Eine Sache, die sie in Bezug auf das Fremdsein als Gefahr gesehen habe, sei, dass man sehr aufpassen müsse, diese Bezeichnung von außen nicht Teil von sich selbst werden zu lassen. „Ich habe mich manchmal dabei erwischt, dass ich in dieser Funktion des Fremden einen Platz gefunden habe.“ Lachend mimt sie ein Stereotyp nach: „Das ist unsere Migrantin vom Dienst, sie kann zum Thema Flucht und Migration sprechen und es ewig wiederholen. Wichtig ist, dass einem dieses Erleben nicht im Weg steht. Dass man nicht an diesem schwierigen Punkt, der eine massive Veränderung des Lebens bedeutet, stehen bleibt.“

Im Denken sei sie zweisprachig. Wenn sie viel arbeite, denke sie eher Deutsch, da ihre Arbeit auf Deutsch stattfindet. Zu Hause spreche sie Bosnisch, weil ihr Mann auch aus Sarajevo stammt. Bosnisch sei die private Sprache. Lesen würde sie in beiden Sprachen und in zwei Schriften, Kyrillisch und Latein. [. . .]

„Meine Eltern sind keine Österreicher, das werden sie auch nicht werden können, obwohl sie seit 25 Jahren hier leben. Natürlich ist das noch ein Teil unserer Geschichte, das Fremdsein – wie lang? Am Familientisch hat jeder für sich eine Erklärung. Manche werden dann auch stolz. ,Ich werde für immer Flüchtling sein, Flüchtling sein ist das Beste‘, sagt dann der eine halb romantisch, halb stolz. Ja stolz, denn es ist ja auch eine Leistung, eine solche Zeit meistern zu können, jeden Tag. Es ist natürlich auch Glück dabei, welche Begegnungen passieren, welche Kontakte entstehen. Meistens ist es nicht eine Möglichkeit, die einem vom System gegeben wird, sondern wen man trifft, wer zufällig eine Tür aufmacht, durch die man schnell durchhuscht“, lacht sie. „Ich kann sagen, dass wir Glück hatten. Ich hatte Glück, es gab zufällige Begegnungen, eine Nachbarin, jemanden, der jemanden kennt und weiterhelfen kann. Denn so ist das nicht, dass es strukturell diese oder jene Möglichkeit gäbe, diesen oder jenen Weg zu gehen. Ich habe die Gelegenheiten am Schopf gepackt.“ ?

Zur Person

Livia Klingl, geb. 1956 in Wien, mehr als 20Jahre Kriegs- und Krisenberichterstatterin, ehemalige Leiterin der Außenpolitik im „Kurier“ und Buchautorin. 2015 erschien „Wir können doch nicht alle nehmen!“ (Kremayr & Scheriau).

Soeben erschienen ist ihr neues Buch „Lauter Fremde!“ ebenfalls bei Kremayr & Scheriau. Es wird am 9. Februar um 19 Uhr im Thalia auf der Mariahilferstr. 99 präsentiert. Moderation: Angelika Hager vom „Profil“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2017)

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