Mayröcker: "Canetti hat den Tod auch so gehasst"

Friederike Mayroecker in ihrer Wohnung in Wien 2005
Friederike Mayroecker in ihrer Wohnung in Wien 2005(c) APA (HANS KLAUS TECHT)
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Die Schriftstellerin Friederike Mayröcker sprach mit der "Presse am Sonntag" über ihr neues Kinderbuch "Jimi", über Traumtexte und über ihre Sehnsucht, mit Lebenspartner Ernst Jandl noch einmal sprechen.

Frau Mayröcker, das letzte Mal haben wir uns zum Interview noch in Ihrer Wohnung getroffen. Gibt es dort noch das Taferl mit der Aufschrift „Tabu“, das die Räuber fernhalten soll?

Friederike Mayröcker: Ja, das Taferl gibt es noch. Aber in die Wohnung lasse ich niemanden mehr hinein. Alle Interviews, die ich jetzt gebe, gebe ich im Tirolerhof. Bei mir ist es viel zu voll, und das, obwohl ich noch eine Wohnung dazubekommen habe, die von Ernst Jandl. Aber dort schaut es mittlerweile genauso aus.

Vor zwölf Jahren haben Sie noch gesagt, Sie würden aufräumen, sobald Sie mit dem Buch fertig sind.

Das habe ich aufgegeben.

Bücher, Manuskripte, Notizen, Briefe: Haben Sie immer schon gesammelt?

Das ist kein Sammeln! Da sammelt sich vielmehr etwas an. Es ist wie in einer Fabrik oder einer Werkstätte. Was sich bei mir anhäuft, ist das Material, mit dem ich arbeite. Ich mache mir auch andauernd Notizen: Wenn ich unterwegs bin, schreibe ich auf kleine Zettel, wenn ich in meinem Bett liege, in ein A4-Heft. Das Material wird dann verarbeitet. Aber ich habe nie gesammelt: Ich flehe meine Freunde sogar an, mir ja nichts mitzubringen, mir auf keinen Fall etwas zu schenken!

Dieser Tage kommt der Gedichtband „dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif“ in die Buchhandlungen. Wie kamen Sie auf den Titel?

Ich nehme an, ich habe ihn geträumt.

Sie träumen Titel?

Nicht nur Titel! Ich muss diese Traumpassagen allerdings sofort aufschreiben. Es kostet mich große Überwindung, das Licht anzumachen und mir Notizen zu machen, aber wenn ich es nicht tue, kann ich mich am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern. Manchmal kann ich dann nicht mehr einschlafen. Früher waren viele meiner Texte Traumtexte. Heute ist das Träumen nicht mehr so wichtig, aber es kommt noch vor – nicht jede Nacht, aber doch immer wieder.

Viele Ihrer Texte sind Freunden oder Bekannten gewidmet.

Wenn ich etwas aus einem Gespräch mit ihnen zitiere oder aus einem Brief – dann ist die Widmung eine Art Dankbarkeitsgeste. Manchmal sind es auch Gelegenheitsgedichte.

Woran arbeiten Sie im Moment?

An Prosa. Prosaschreiben ist ja eine ernsthafte Arbeit. Gedichte sind wie Aquarelle, flüchtig. Sie entstehen oft in wenigen Minuten. Prosa dagegen würde ich am ehesten mit der Plastik vergleichen. Da geht man mit hartem Material um, man arbeitet viel intensiver, viel länger. Es ist eine Arbeit, bei der man sich nicht fragen muss: Was mache ich heute? Nein: Es wartet schon. Das Schöne am Prosaschreiben ist das Material, das einen auffängt.

Vor Kurzem ist nach Langem wieder ein Kinderbuch von Ihnen herausgekommen. Wie kam es dazu?

Ich fahre ja jedes Jahr im Sommer zu einer Freundin nach Bad Ischl. Und voriges Jahr habe ich dort ihr Enkelkind Emma kennengelernt. Sie war erst zwei, und es war eine wunderbare Begegnung. Jetzt ist sie drei Jahre alt – und schaut sich das Buch sehr gern an. Alle meine Kinderbücher – es sind sechs oder sieben, leider alle vergriffen – habe ich für Kinder von Freunden geschrieben, etwa für die Kinder von Otto Breicha, als sie noch klein waren.

Der Eisbär, der im Buch vorkommt, gehört also Emma?

Nein, der gehört mir. Ich habe ihn zu Weihnachten geschenkt bekommen.

Was war Ihr Lieblingsbuch als Kind?

„Peterchens Mondfahrt“ – davon habe ich mir sogar einen Reprint machen lassen. Und noch ein Buch habe ich sehr geliebt, aber der Titel fällt mir jetzt nicht ein: etwas mit einem Raben, der einen ungewöhnlichen Namen trägt.

Sie betonen immer wieder, Sie hätten eine glückliche Kindheit gehabt.

Eine sehr glückliche frühe Kindheit. Ich habe den Sommer immer in Deinzendorf verbracht. Dort hatten wir einen Vierkanthof mit einem riesigen Vorgarten. Deinzendorf ist ein verschlafenes Nest, ist es wohl immer noch, aber für mich war es das Paradies, die Idylle. Ich war ja ein sehr zurückgezogenes Kind, war viel allein, hatte wenige Freunde. Als ich elf war, mussten wir das Haus verkaufen. Für meine Mutter und mich war es ein großer Verlust. Sie war wie ich eine richtige Naturliebhaberin.

Sie konnten diese Naturliebe aber später kaum ausleben.

Es wird doch immer wieder gefragt, warum in meinen Texten oft Blumen und Tiere vorkommen, Hyazinthen, Schwertlilien, Flieder? Das geht auf diese elf Jahre zurück. Diese zwei Monate im Sommer haben sich in meine Erinnerung eingegraben. Und jeden Frühling werde ich unruhig und möchte hinaus aufs Land. Ich kann mich noch erinnern, als ich vis-à-vis von unserem Haus auf den Stufen zu einem Ziehbrunnen gesessen bin und Mundharmonika gespielt habe. Ich war sehr wehmütig. Da war ich sieben Jahre alt und habe natürlich noch nicht gewusst, woher das kommt und wohin das führt.

Und wohin führt es es?

Diese Melancholie ist die Grundstimmung, die ich brauche, um zu arbeiten. Ohne Melancholie kann ich nicht schreiben.

Wollten Sie selbst nie Kinder?

Ich habe gewusst, dass ich als Dichterin nur arbeiten kann, wenn ich allein in meiner Wohnung lebe – und ohne Kinder. Das war mit Ernst Jandl so ausgemacht. Wir mussten uns zurückziehen können, um zu schreiben. Obwohl: Im Sommer waren wir immer auf dem Land – da hat er oft am besten geschrieben. Bei mir war es umgekehrt. Ich habe in dieser Zeit nichts zu Papier gebracht.

Ihr Buch „Und ich schüttelte einen Liebling“ über Ihr Leben ohne Ernst Jandl hat mich sehr berührt.

Davor habe ich noch „Requiem für Ernst Jandl“ geschrieben. Das hat mir das Leben gerettet. Ich habe mir nicht gedacht, dass ich ohne ihn weiterleben könnte. Bald sind es zehn Jahre, dass er tot ist. Der große Schmerz ist nicht mehr da. Aber die große Sehnsucht, ihn noch einmal zu sprechen, ihn noch einmal zu sehen.

Glauben Sie daran, dass das passieren könnte? Dass es ein Wiedersehen nach dem Tode geben kann?

Ich bin mir da nicht ganz sicher. Manchmal hoffe ich es, aber ich bin keineswegs überzeugt. Woran ich aber sicher glaube, ist der Heilige Geist, daran, dass ich mit seiner Hilfe Texte schreiben kann. Aus mir selbst heraus könnte ich das nie! Man kann ihn nicht rufen, man muss bescheiden sein und warten können. Und ich bin dann auch so dankbar, wenn ich wieder arbeiten kann. Ich brauche diese Hilfe!

Ist das ein Heiliger Geist im christlichen Sinn?

Ja.

Liegt es da nicht nahe, auch an ein Jenseits zu glauben?

Dafür bin ich im christlichen Glauben nicht verwurzelt genug.

In einem Interview haben Sie gemeint, Sie hätten schon mit dreißig über den Tod geschrieben.

Mit dreißig? Ich weiß nicht, das erscheint mir jetzt doch ein bisschen früh. Aber natürlich bedeutet schreiben für mich auch, über den eigenen Tod nachzudenken, ihn zu fürchten, ihn zu verachten, ihn nicht wahrhaben zu wollen. Canetti hat den Tod auch so gehasst wie ich.

Ihn fürchten, ihn nicht wahrhaben wollen, das kann ich verstehen. Aber wie verachtet man den Tod?

Indem man ihn beschimpft und wegdrängt. Aber das sind natürlich schwache Mittel, um sich über Wasser zu halten. Am liebsten würde ich ewig leben! Ich möchte noch so viel schreiben, es gibt noch so viele Bücher zu lesen, so viele Sprachen zu lernen. Man verliert das Leben zu bald.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2009)

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