Asli Erdoğan, die „Unpolitische“

(C) Gürcan Öztürk
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Die türkische Schriftstellerin Asli Erdoğan erhält in Wien den Bruno-Kreisky-Preis für Menschenrechte verliehen – in Abwesenheit, sie darf nicht ausreisen. Ein Porträt.

Es waren wohl vergleichsweise selige Zeiten für Asli Erdoğan, als sie vor fünf Jahren in Graz als Asylschreiberin lebte und schrieb. Als sie Anfang der Neunziger als junge Physikerin am europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf über das Higgs-Boson forschte und später anthropologische Reisen ins Amazonasgebiet unternahm. Oder als sie in Rio de Janeiro ihre Doktorarbeit schrieb und ihrer Liebe zu dieser Stadt dann 1998 mit „Die Stadt mit der roten Pelerine“ ein Denkmal setzte: Es war der Roman, der sie international bekannt machte.

„Ich bin Schriftstellerin, und kein Mensch in der Türkei nimmt mich politisch ernst“; ja, sie sei „politisch nicht aktiv“, ihre Kolumnen seien „unpolitisch“ gewesen: Hört man Asli Erdoğan heute darüber reden, was ihr im Lauf des vergangenen Jahres widerfahren ist, hat man den Eindruck, dass die Fassungslosigkeit bis heute anhält.

Im Gefängnis schwer krank

Die heute 50-Jährige war einer von unzähligen Menschen, die nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei in Haft kamen. Sie wurde wegen ihrer Artikel und Kolumnen für die prokurdische Zeitung „Özgür Gündem“ („Freie Agenda“) festgenommen. Dem Blatt wirft die türkische Justiz vor, ein Propagandaorgan der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein. Nach über vier Monaten in Untersuchungshaft – in denen Asli Erdoğan schwer krank war und die für ihre Diabeteskrankheit nötigen Medikamente zum Teil nicht erhielt – wurde sie zwar freigelassen; sie steht aber nach wie vor unter Anklage und darf die Türkei nicht verlassen. Das Verfahren wurde zuletzt auf den 13. Juni vertagt.

Deswegen wird heute, Freitag, an ihrer Stelle ihr Anwalt in Wien den Bruno-Kreisky-Preis für Menschenrechte entgegennehmen. Auch der mit 25.000 Euro dotierte deutsche Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis wurde ihr vor Kurzem zugesprochen – vor allem für ihren jüngst auf Deutsch im Knaus-Verlag erschienenen Band „Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch“. Es sind Essays, die in der Türkei nicht erscheinen dürfen.

„Unpolitisch“? Nein, das sind Asli Erdoğans Texte wahrlich nicht. Sie hat über die Zustände in den türkischen Gefängnissen geschrieben, über Gewalt an Frauen, Folter, die kurdische Minderheit in der Türkei und menschenverachtende Politik. Liest man aber, auf welche Weise sie darüber schreibt, ahnt man, was sie mit „unpolitisch“ meinen könnte und mit der Aussage, dass sie „politisch nicht aktiv“ sei. Asli Erdoğan ist eine Schriftstellerin, die tatsächlich nichts lieber wäre als „unpolitisch“. Es gelingt ihr nur nicht in ihrem Land in ihrer Zeit. Ganz gleich, ob sie über Erniedrigung oder Armut schreibt, es fließt – für den Leser in jeder Zeile spürbar – aus einem selbstverständlichen menschlichen Impuls heraus.

„Wer braucht noch Literatur?“

Das erklärt auch, warum Asli Erdoğan nach ihrer Freilassung so resigniert, fast gebrochen wirkte. Sie könne „mit dem abgründigen Hass nicht mehr umgehen“, sagte sie in einem Interview mit der „FAZ“ nach ihrer Freilassung, und: „Wer braucht hier noch so etwas wie Literatur?“ Sie ringt in ihren Essays sichtlich mit der Sprache, wenn sie versucht, Schreckliches wie etwa Folter zumindest in Satzfetzen zu fassen. „Unsere Begriffe hängen in Fetzen von uns, unsere Worte, unsere Persönlichkeit . . .“, schreibt sie einmal.

Asli Erdoğan passt die Rolle einer „Heldin des Widerstands“ nicht. All die spektakulären Menschenrechtspreise, die sie jetzt erhält, verdient sie für eine lange Reihe kleiner Äußerungen der Zivilcourage, die für sie selbstverständlich waren – und stellvertretend für viele andere auch. Dass sie dafür gefeiert wird, ist ihr vermutlich ebenso unverständlich wie der Umstand, dass sie dafür verhaftet und gequält wurde. „Diese meine fürchterliche Geschichte harrt dort, wo die Nacht sich verdichtet, starrt mich aus ihren ans Finstere gewöhnten Augen an“, heißt es im neuen Essayband. „Als suchte sie in einem eigenen Spiegel, durch den Gespenster huschen, nach dem eigenen Gesicht.“

Nun muss die Autorin also wieder „aus Wörtern, die eine Sturmnacht überstanden haben, eine Welt errichten“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2017)

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