Überlebende einer Katastrophe als Auftakt beim Bachmann-Preis

Karin Peschka
Karin PeschkaAPA/GERT EGGENBERGER
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Karin Peschka lässt eine Gesellschaft vor die Hunde gehen, die Jury ist darüber uneins. Björn Trebers Mut wird gelobt, seine Sprache kritisiert. Begeisterung gibt es für den Handwerker John Wray.

Die gebürtige Oberösterreicherin Karin Peschka eröffnete den Lesereigen am ersten Lesevormittag der 41. Tage der deutschsprachigen Literatur. Sie sei "ein bissel nervös", bekannte die Autorin, ehe sie einen Auszug aus der Erzählung "Wiener Kindl" las, Teil des Erzählbandes "Autolyse Wien - Erzählungen vom Ende", der im August im Otto Müller Verlag erscheinen wird. Das "Kindl" zählt zu den Überlebenden einer Katastrophe, die Wien zerstört hat, "vielleicht nur Wien, vielleicht das ganze Land". Während die Menschen "unter den Trümmern lagen, oder nach dem Unglück, nach dieser Irritation, aus der Stadt geflüchtet waren", sind Hunde die Gefährten des Kindes, aber auch seine Konkurrenten im Überlebenskampf. "Das Kindl würde viel lernen müssen, falls es am Ende des Sommers noch am Leben sein wollte", heißt es in dem dystopischen Text.

Jury uneins: Zu einfach oder doch recht komplex?

Die Jury zeigte sich uneins. Den einen wie dem Juryvorsitzenden Hubert Winkels war der Text zu einfach ("Das ist mir ein wenig zu wenig."), andere wie der neue Juror Michael Wiederstein ("ein ambitionierter Genremix"), orteten "viel zu wenig Reduktion". Meike Feßmann sah "ein sehr schlichtes Setting", fand den Text aber "interessant". Hildegard Keller sah "ein modernes Märchen, eine Art Hybridtext" mit sehr schönen Ansätzen, aber "gestauchter Sprache": "Das kommt für mich noch nicht ganz zusammen." "Was sich der Text vornimmt, löst er auch ein", fand dagegen Sandra Kegel.

"Eine Gesellschaft geht vor die Hunde", fasste sie zusammen und sah im Sujet "Mowgli im Wienerwald" oder "Moses im Schilf". "Dieser Text geht ein großes Wagnis ein, er begibt sich aus der Deckung", meinte Stefan Gmünder, der Peschka eingeladen hatte: "Ich finde das sehr sauber durchgearbeitet, alles andere als einfach, sondern sehr komplex." Klaus Kastberger sah wie Hubert Winkels in dem Text einen idealen Start ins Wettlesen um den Bachmann-Preis: "Es hat einen riesigen Vorteil, mit der Apokalypse anzufangen, dann hat man es hinter sich."

Treber über das Leben des Großvaters

Der junge Kärntner Björn Treber (Jahrgang 1992), dreimaliger österreichischer Jugendstaatsmeister im Tennis, stellte in seinem Text "Weintrieb" ein Begräbnis in den Mittelpunkt. Auf den Annabichler Friedhof wird der Großvater des Erzählers zu Grabe getragen. Beschrieben werden Zeremonie und Trauergäste, als durchgehendes Motiv dient Treiber ein immer wiederkehrender Verweis auf die Annabichler Vögel: "Sie singen nur für ihn." "Weintrieb" ist das erste Kapitel eines größeren Projekts, an dem Treber arbeitet. Ausgehend vom Begräbnis geht es dabei um das Leben des Großvaters.

Während der Mut des jungen Autors, sich literarisch dem Tod eines nahen Menschen anzunähern, etwa von Stefan Gmünder, der Treber eingeladen hatte, oder von Klaus Kastberger, dessen Student Treber in Graz ist, gelobt wurde, hagelte es von der Mehrheit der Juroren teils harsche Kritik: Hubert Winkels sah "unterlaufene Fehler" und "viele Unbeholfenheiten" in dem Text, der "auf basale Weise nicht gelungen" sei, Meike Feßmann ortete eine "recht brave Geschichte", Michael Wiederstein "eine Art Adjektivitis". Sandra Kegel fand den Text "in der Bilderzeugung zu schwach". Hildegard Keller begeisterte sich hingegen für die präzise und "frische Beschreibung eines Begräbnisses" und sah "sparsam gesetzte poetische Glanzlichter". Kastberger fasste zusammen: "Sooo grottenschlecht ist der Text nicht. Treber lässt für die Zukunft etwas hoffen."

Die Autoren Eckhart Nickel, Maxi Obexer, Karin Peschka, Ferdinand Schmalz, Noemi Schneider, Jackie Thomae, Björn Treber und John Wraywährend der Eröffnung der '41. Tage der deutschsprachigen Literatur' am Mittwoch.
Die Autoren Eckhart Nickel, Maxi Obexer, Karin Peschka, Ferdinand Schmalz, Noemi Schneider, Jackie Thomae, Björn Treber und John Wraywährend der Eröffnung der '41. Tage der deutschsprachigen Literatur' am Mittwoch.APA/GERT EGGENBERGER

Wray über die psychisch labile Autorin Madrigal

"Madrigal" heißt der Text, den John Wray am Ende des ersten Vormittags las. Wray, 1971 in Washington D.C. geboren, ist heuer der einzige Kandidat, der bisher auf Englisch schreibt. Mit seinen Romanen (zuletzt: "Das Geheimnis der Verlorenen Zeit") hatte der austro-amerikanische Autor, der in Brooklyn und im Kärntner Friesach auf dem Hof der Familie seiner österreichischen Mutter lebt, bisher sowohl in den USA als auch im deutschsprachigen Raum großen Erfolg.

In seinem teilweise dialogischen, wie ein Vexierbild immer wieder die Perspektive verändernden Text geht es um Madrigal, eine in Little Rock, Arkansas, lebende Frau, die "als Kaltanruferin für ein Inkassounternehmen" arbeitet und von ihrem Bruder, dem Schriftsteller Teddy, "Maddy" genannt wird. Die psychisch labile Madrigal, Autorin mit Schreibblockade, sieht ihr unbekannte Tiere in einem Teich und recherchiert diese im Internet. Es geht um Ornithologie und Kartographie, um den Forscher Theodore Avery Wells und den Autor Hunter Wagoner. Und, mehr oder weniger gut verborgen, wohl auch um Donald Trump.

"Da war ein Profi am Werk"

In der Jury herrschte fast einhellig Begeisterung: "Ich bin schwer beeindruckt von diesem Text", sagte Hubert Winkels. "Das war ein großes Vergnügen für mich", versicherte Klaus Kastberger, der das "sehr stringente und nachvollziehbare erzählerische Konzept" und den brillanten Vortrag lobte: "Da war ein Profi am Werk." - "Der Leser wird permanent an der Nase herumgeführt", begeisterte sich Sandra Kegel, die Wray eingeladen hatte, über dessen "ausgebufftes Konzept". "Ganz großes Handwerk" und "ein Zauberkunststück sondergleichen", sah Heike Feßmann, die aber Zweifel hatte, ob er "hier zu viel auf einmal zeigen wollte". In diese Kerbe schlugen auch Stefan Gmünder ("Beschreibung und Bericht, Traum und Albtraum, Zitat und Dialog - der Autor als Spieler" mit "einer Lockerheit, die mir schon fast zuviel ist".), Hildegard Keller ("Irgend etwas ist zu beliebig an dieser Geschichte, sie ist mir irgendwie zu messy") und Michael Wiederstein, der sich "sehr zwiegespalten" zeigte. Neben perfektem Handwerk ortete er "viel zu viel Simulation und zu wenig Geschichte": "Mich stört am Ende diese Überfrachtung."

Am Donnerstagnachmittag beschließen Noemi Schneider und Daniel Goetsch den ersten Wettbewerbs-Tag in Klagenfurt.

(APA)

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