Eine verhängnisvolle Liebe zum Duce

Historikerin und Schriftstellerin: Louisa Young.
Historikerin und Schriftstellerin: Louisa Young.(c) Rick Morris Pushinsky
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Die Britin Louisa Young hat einen fesselnden historischen Roman über das faschistische Rom und die Wunden des Ersten Weltkrieges geschrieben.

Rom und London, 1930er-Jahre: Die Sommerferien bei Verwandten in Italien sind für den jungen Rebell Tom und seine kleine Schwester Kitty der Höhepunkt im Jahr. Gemeinsam mit Cousine Nena erforschen die zwei britischen Kinder Rom und das Ghetto, in dem Nenas jüdische Familie auf der Tiberinsel wohnt. Sie treffen kuriose Gestalten, entdecken Piazze und Märkte, trauen sich in dunkle Gassen. So lernen die beiden schnell Italienisch. Nena ist von Anfang an Toms ganz große Liebe.

Die Wochen bei der lebhaften römischen Familie Fiori, das Essen, ihren lauten Cousin Aldo genießt auch Nadine, Toms und Kittys Adoptivmutter. Doch mit den Jahren werden ihr diese Rom-Ferien immer unbehaglicher: Ihrem Ehemann Riley, der nicht mit nach Rom reist, verschweigt sie, dass Aldo überzeugter Faschist ist. Riley, dessen Gesicht durch eine Granate im Ersten Weltkrieg entstellt wurde, ist Pazifist und Antifaschist. Aldo aber lässt keine Kritik an Mussolini zu: Er hält am Duce-Kult fest, trotz des immer aggressiveren Antisemitismus des Regimes und Mussolinis Annäherung an Hitler. Nicht einmal nach Verabschiedung der Rassengesetze, durch die Aldo wie alle Juden seine Staatsbürgerschaftsrechte verliert, distanziert er sich vom Faschismus.


Ein Trugbild

Die britische Bestseller-Autorin Louisa Young versetzt den Leser in die dunklen Jahre des europäischen 20. Jahrhunderts. Ebenso wie in den ersten beiden Bändern ihrer Roman-Trilogie zeichnet sie auch in „Die Sommer, die wir hatten“ nach, wie damals die Brutalität der Politik mit Gewalt ins Private eindrang und Existenzen zerstörte: In Großbritannien leiden Riley und Toms Vater Peter am Trauma und an Verletzungen aus dem Ersten Weltkrieg, Peter wird sich deshalb nicht um seine Kinder kümmern können.

In Rom hingegen prägt politischer Fanatismus das Leben und die Zukunftshoffnungen der Fioris: Patriarch Aldo, der als Ingenieur die Pontinischen Sümpfe trocken legt, erhofft sich von Mussolini radikale Modernisierung – und illusorischerweise ein Ende der jahrtausendealten Diskriminierung von Juden in Italien. Euphorisch spricht er immer davon, wie er dank des Duce endlich als „wahrer Italiener“ akzeptiert wird und die Zukunft mitgestalten kann. Er bringt Nena bereits als kleines Mädchen bei, Mussolini zu vergöttern. Umso schmerzhafter wird für sie später die Erkenntnis, dass sie wegen ihres Vaters ihre gesamte Kindheit einem Trugbild nachgehangen ist. Auch Nadine und Kitty sehen irgendwann widerwillig ein, dass sie den kriegstreiberischen Faschismus nicht aus dem römischen Sommeridyll ausblenden können.

Young hat einen packenden historischen Roman verfasst, der den Leser dank überzeugender Charaktere und fesselnder Handlung auf eine spannende Zeitreise mitnimmt. Dabei erfüllt die Schriftstellerin hohe Ansprüche: Akribisch beschreibt sie die politischen Entwicklungen des Faschismus und versucht, die Begeisterung der Italiener für den Duce zu verstehen. Allerdings wirft sie einen sehr britischen Blick auf das damalige Italien – und neigt dazu, die Anfänge des Faschismus als naive, folkloristische „Liebe“ für den übermächtigen Duce-Vater zu verniedlichen. Umso überzeugender hingegen sind ihre Beschreibungen der sozialen Umbrüche in Großbritannien, wo Peter durch seine Hochzeit mit einer schwarzen Sängerin soziale Konventionen bricht.

„Devotion“ (Hingabe) lautet der passende Originaltitel des Romans. Denn um Hingabe geht es: die Hingabe Toms zu Nena, der ihr helfen wird, das wahre Gesicht des Faschismus zu sehen und so ihr Leben rettet. Aber auch die blinde Hingabe Aldos zum Duce, die seine gesamte Familie in Lebensgefahr bringt. „Die Sommer, die wir hatten“ ist aber vor allem ein durch und durch menschelnder Roman, geschrieben mit viel Gefühl, feinem Humor und subtiler Psychologie. Eine Erzählung über die Macht politischer und persönlicher Leidenschaften – und eine Hommage an eine leiderprobte Generation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2017)

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