„Tractatus“ für ein Buch über die Faulheit und das Schicksal der Arbeit

Spezialist für Unruhe: Ralf Konersmann.
Spezialist für Unruhe: Ralf Konersmann. (c) Bodo Kremmin
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Macht das Faulsein glücklich? Es ist kein romantischer Weg zum Glück mehr, sondern ein Aufbegehren, schreibt Ralf Konersmann, der den Essaypreis bekam.

„Die Unruhe ist uns in Fleisch und Blut übergegangen“, konstatiert Ralf Konersmann, geboren 1955 in Regensburg, Philosoph an der Universität Kiel, in der Einleitung seines „Wörterbuchs der Unruhe“, das er auf sein Buch „Die Unruhe der Welt“ (2015) folgen ließ. Es ist tatsächlich enzyklopädisch angelegt: mit 30 Artikeln, alphabetisch geordnet, von Arbeit und Beschleunigung über Kain, Krise, Kritik und Kultur bis zu Warten und Zerstreuung. Als Motto hat Konersmann einen Satz von Roland Barthes gewählt: „Es gibt nichts Beruhigenderes als ein Wörterbuch.“

Seit 2009 wird der „Tractatus“-Preis für philosophische Essays im Rahmen des Philosophicums Lech vergeben. Bei diesem war 2016 der Untertitel „Philosophieren in unruhiger Zeit“; doch wirklich perfekt passt das heuer ausgezeichnete Buch zum Thema des Philosophicums 2017: „Mut zur Faulheit – Die Arbeit und ihr Schicksal“. Der Arbeit sei es gelungen, „der Unruhe der Welt ein menschliches Gesicht zu geben und sie mit dem Selbstbehauptungsinteresse der Menschen abzugleichen“, schreibt Konersmann: „Was der Mensch vermag, vermag er durch Arbeit.“

Alles ist zur Arbeit geworden

Ob das Faulsein – dem natürlich auch ein (dem Thema entsprechend kurzes) Kapitel gewidmet ist – glücklich mache, fragt Konersmann. Und antwortet selbst: Das sei in der Arbeitsgesellschaft gar nicht mehr die Frage. „Das Paradies lässt sich nicht erzwingen, und niemandem fällt es einfach in den Schoß.“ So sei Faulheit heute, wo längst alle „Parteien des Fortschritts den Wertekanon der protestantischer Ethik übernommen“ haben, kein romantischer Weg zum Glück mehr, sondern ein Aufbegehren – „gegen die Tyrannei der Industrie, gegen den Wahn der Optimierung und die permanente Steigerung der Effizienz“ –, in einer Welt, in der alles Arbeit ist oder wenigstens heißt, von Trauerarbeit über Beziehungsarbeit bis Geistesarbeit.

Schön, dass Konersmann kaum in das verbreitete Jammern über die ach so rastlose moderne Zeit verfällt, dass er – in einer geistreichen Variation über Sigmund Freuds „Unbehagen in der Kultur“ – festhält: „Nur da, wo Menschen das Unbehagen zulassen und spüren, wo sie sich ansprechen und ergreifen, und das heißt: wo sie sich beunruhigen lassen, kann überhaupt Kultur sein.“

Die Drei-Länder-Jury (die Schweizer Philosophin Barbara Bleisch, der deutsche Schriftsteller Michael Krüger, der österreichische Essayist Franz Schuh) lobt Konersmanns „virtuose Essays“, die am 22. September in Lech mit dem mit 25.000 Euro dotierten, privat finanzierten Preis ausgezeichnet werden. Bisherige Preisträger sind Franz Schuh, Kurt Flasch, Norbert Bolz, Herbert Schnädelbach, Kurt Bayertz, Peter Bieri, Ulrich Greiner und Hartmut Rosa.

„Wörterbuch der Unruhe“: erschienen 2017 beim S. Fischer Verlag, 352 Seiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2017)

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