Von Zoë Beck bis Fred Vargas: Frauenkrimi – das war einmal

Krimiautorin Monika Geier ist eine heitere Erzählerin, gemütlich wird es bei ihr aber nie.
Krimiautorin Monika Geier ist eine heitere Erzählerin, gemütlich wird es bei ihr aber nie.(c) Roman Klar
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„Die Presse am Sonntag“ hat vier Kriminalromane deutscher Autorinnen gelesen, die so gar nicht in das Schema von Kuschelkrimis passen. Spannung von Frauen, nicht nur für Frauen.

Das Label „Frauenkrimi“ hat etwas Abwertendes: Psychologisch und kuschelig muss es zugehen, die Figuren haben gefälligst schrullig zu sein und ein Happy End ist ohnehin Pflicht.

Wer außergewöhnlich gute Kriminalromane von Frauen lesen will, die damit nichts am Hut haben, hat aber schon seit Längerem die Möglichkeit, die Klischee-Ecke zu verlassen und sich perfekt unterhalten zu lassen. Denn viele Krimiautorinnen haben die auch vom Buchhandel geförderte Bevormundung, wie ein Kriminalroman aus Frauenhand zu sein hat, längst satt. Wenig überraschend haben sie so auch die renommierte Krimi-Bestenliste, die sich außergewöhnlicher Kriminalliteratur abseits des Mainstreams annimmt, seit Juli fest in ihrer Hand.

(c) Ariadne

Sowohl Simone Buchholz als auch Zoë Beck (siehe unten) und Monika Geier, deren Kriminalroman „Alles so hell da vorn“ an dieser Stelle besprochen wird, führten die Liste an. Was sie eint: Sie schreiben über lebensechte Figuren, Männer und Frauen.

Eine Teilzeitpolizistin. Mit Bettina Boll, der Teilzeitpolizistin, hat Autorin Geier eine Figur erschaffen, die auch nach der Lektüre nicht gleich wieder verschwindet. „Alles so hell da vorn“ ist übrigens bereits der siebente Band der Boll-Reihe. Wie die Kriminalkommissarin ihren Job und die beiden Kinder oft mehr schlecht als recht unter einen Hut bringt, liest sich sehr authentisch. Einmal kommt Boll nach einem anstrengenden Arbeitstag völlig ausgelaugt nach Hause, wo sich ihr das übliche Chaos bietet: „Das Wohnzimmer sah aus wie Sau, die Schulranzen lagen in der Küche auf dem Boden, neben den Jacken.“ Die Kinder sitzen natürlich vor dem Fernseher. Als Boll ausrastet und anklagend wissen will, wie es hier aussehe, bekommt sie von ihrer Tochter ein lapidares „So wie immer“ und von ihrem Sohn ein hochnäsiges „Ganz normal“ zu hören. Eine Szene aus dem ganz normalen Leben also, gekrönt mit der Forderung des Pubertierenden: „Was gibt's eigentlich zu essen?“

Monika Geier ist eine großartige, vielschichtige Erzählerin, die mit einem ausgeprägten Gespür für Details viel über unsere Welt zu sagen hat. Sie formuliert pointiert und zeichnet ihre Charaktere sehr feinfühlig. Ihre Dialoge sind aus dem Leben gegriffen.

Man darf sich aber nicht täuschen lassen, die heitere Erzählweise kippt nie ins Gemütliche – dazu ist auch das Hauptthema der Kinderprostitution zu schwerwiegend: Ausgerechnet in einem Vorstadtbordell wird Bolls ehemaliger Kollege Ackermann von einer jungen Prostituierten erschossen. Als die Täterin kurz darauf in einer Schule eine weitere Bluttat begeht, wird alles immer rätselhafter. Die Polizistin sieht sich mit einem heiklen Fall konfrontiert, der immer mehr Fragen über die Hintergründe aufwirft. Auch das Verschwinden eines kleinen Mädchens vor einem Jahrzehnt scheint dabei eine Rolle zu spielen.

Geiers Blick auf die dunkle, abgründige Seite der Provinz und die ständigen Kompetenz- und Machtverschiebungen innerhalb des Polizeisystems ist sehr klar. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass es Boll als Frau im Männerverein der Polizei nicht immer einfach hat. Alphamännchen-Gehabe zwischen Männern beschreibt die Autorin aber auf ihre typisch humorvolle Weise so: „Er sah ihm in die Augen, Zerche blickte hypnotisiert zurück, es war wie Armdrücken, nur ohne Kalorienverbrauch.“

Erzählen, ohne zu belehren. Geier schafft es immer wieder zu überraschen. Ihre Figur Boll hat einiges zu durchleben, Wendungen gibt es bis zum Schluss. Ein Ende mit sieben Epilogen findet man selten, wobei einem die letzte Seite einen besonderen Stoß ins Herz versetzt. Das ist gehobene Krimikunst. Ariadne-Herausgeberin Else Laudan schreibt sehr treffend im Vorwort über ihre Autorin: „Monika Geier klagt nicht an, belehrt uns nicht, sie beschränkt sich strikt aufs Erzählen, kunstvoll, spannend und verschmitzt.“ Viel mehr kann ein moderner Kriminalroman, ob von Frauen- oder Männerhand verfasst, nicht tun.

Neu Erschienen

Monika Geier
„Alles so hell da vorn“
Ariadne Verlag
415 Seiten
13,40 Euro

(c) Suhrkamp Nova

Der Manager im Käfig

Mit »Beton Rouge« setzt die deutsche Autorin Simone Buchholz ihre Serie rund um Staatsanwältin Chastity Riley fort – wie gewohnt: wild, eigenwillig und ausufernd.

Chastity Riley ist ein ungewöhnlicher Name für eine Hamburger Staatsanwältin. So gesehen ist der Name Programm bei der Krimi-Reihe von Simone Buchholz, aus der nun Band sieben, „Beton Rouge“, vorliegt. Denn vieles ist ungewöhnlich im Universum von Riley, die es diesmal mit einem besonderen Fall zu tun bekommt: Vor einem Verlagsgebäude steht eines Morgens ein Käfig. Darin liegt nackt, misshandelt und betäubt ein Manager des Verlags. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ist gewiss. Nur so viel sei verraten: Es wird nicht der letzte Käfig sein.

Der Autorin gelingt es immer wieder auf faszinierende Weise, gesellschaftliche Phänomene aufzugreifen und dann mit einer wilden, eigenwilligen, ausufernden Geschichte zu vermischen. Ihre Bücher leben vor allem von dem nicht immer ganz verständlichen, oft widersprüchlichen und daher sehr authentischen Innenleben der Hauptfigur. Chastity Riley ist eine völlig unangepasste, eigenwillige Frau, die sich in keine der üblichen Schubladen einordnen lässt.

Es steckt auch sehr viel Witz in den Kriminalromanen der (wie im Klappentext steht) „wegen des Wetters“ nach Hamburg gezogenen Autorin. Diesmal bekommen etwa die Bayern – Riley muss dienstlich in den Süden Deutschlands – etliche bissige Seitenhiebe ab.

Man könnte an dieser Stelle auch einige Plot-Schwächen kritisieren. Dennoch kann man sich dem Sog dieser ganz eigenen Welt, die Buchholz erschafft, nur schwer entziehen. phu

Simone Buchholz: „Beton Rouge“, Suhrkamp Nova, 230 S., 15,90 Euro.

(c) Suhrkamp

Eine moralische Drogenhändlerin

Drogen per Drohnen. Zoë Beck hat sich den Genres der Regio- und Frauenkrimis stets verweigert. Auch deshalb hat die deutsche Autorin ihre Schauplätze nach Großbritannien verlegt. Diesmal erzählt sie von einer nahen Zukunft, in der Drogen per App bestellt und per Drohne ausgeliefert werden. Und das zu einem Zeitpunkt, als die britische Regierung den „Druxit“, den Ausstieg aus den Drogen, plant.

Es ist die außergewöhnliche Geschichte einer moralischen Drogenhändlerin, deren Parallelhandlungen sich zwar gut verweben. Ab der Hälfte des Buches ist alles aber ein wenig konventionell geraten. Phu

Zoë Beck: „Die Lieferantin“, Suhrkamp Verlag, 325 Seiten, 15,90 Euro.

(c) Ariadne

Und das Wasser steigt und steigt

Delikatesse. Es ist ein biblisches Motiv: der Dauerregen und die Flut, die alles überschwemmt. Das ist nicht die einzige Allusion, auch Aristoteles, Goethe, Leonardo Padura und viele mehr bevölkern diesen Roman, die Icherzählerin erinnert an Virginia Woolfs Orlando. Die Arche ist ein Bauernhaus im thüringischen Nowhere, in dem fünf Leute und ein Schaf Zuflucht finden, während draußen Menschen auf einem Floß versuchen, ihr Leben zu retten.

Anne Kuhlmeyer schiebt die Grenzen des Genres weit hinaus – ein metaphernreicher magisch-realistischer Spannungsroman für Feinspitze. Cle

Anne Kuhlmeyer: „Drift“, Ariadne Verlag, 319 Seiten, 12,40 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2017)

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