Arnold Wesker: "Ein guter Monat im Gefängnis"

(c) Norbert Mayer
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Der britische Autor Arnold Wesker im Gespräch mit der "Presse" über seine Welterfolge als Dramatiker, wachsende Wortmüdigkeit und den Tag, als er mit Bertrand Russell verhaftet wurde.

„Die Presse“: Es gab für Sie in England nach großen Anfangserfolgen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren eine Zeit, in der es um Sie bei aller Weltberühmtheit ruhiger geworden war. Ist das auch in Ihr Stück „Groupie“ eingeflossen, das von einem Künstler in der Krise und einer idealistischen Verehrerin handelt?

Arnold Wesker: Ein bisschen. Am Anfang war es für mich so intensiv, überall in der Welt wurden meine Stücke gespielt. Als es dann nachließ, kam es mir schon vergleichsweise ruhig vor. Aber es gab, glaube ich, seit meinen ersten Aufführungen vor 50 Jahren keinen Tag, an dem nicht irgendwo in der Welt ein Stück von mir aufgeführt wurde.

Wie war das vergangene Jahr für Sie?

Wesker: Hochinteressant, mit Aufführungen meiner Stücke in Mexiko, Argentinien, Ungarn, Spanien, skandinavischen Ländern. Ein sehr gutes Jahr mit vielen Revivals.


Sie waren immer produktiv, haben neben 44 Stücken auch Essays, Kurzgeschichten, Autobiografisches, einen späten Roman und zuletzt Lyrik veröffentlicht. Haben Sie immer schon Gedichte gemacht?

Wesker: Ja. Und die meisten waren schlecht. Jetzt habe ich eine Auswahl getroffen und einen Band veröffentlicht.

Werfen Sie auch Texte weg?

Wesker: Niemals. Ich kann sie unbeachtet lassen. Ich weiß nicht, ob ich das einmal bereuen werde, aber ich hebe alles auf, für die Nachwelt, selbst, wenn ich nicht weiß, ob sie das braucht, ob sie mich nicht völlig vergessen wird. Wenn sie interessiert ist, hat sie eben alles von mir – das Gute und das Schlechte. Viele Autoren verbrennen das, was sie nicht wollen. Ich finde es ehrlicher, alles aufzubewahren. Ich schreibe auch Tagebücher. Als ich in der Armee diente, während der Grundausbildung, schrieb ich täglich Briefe, an meine Eltern, meine Freundin. Ich bat sie, diese Briefe aufzuheben, habe sie wieder eingesammelt und daraus einen schrecklichen Roman gemacht, „The Reed That Bent“. Ich habe ihn in eine Lade gegeben und vergessen. Viel später, nach dem Erfolg von „The Kitchen“ und meiner ersten Dramentrilogie, als ich nicht wusste, wie es weitergehen sollte, fiel mir der Text wieder ein, und ich merkte, dass die Kapitel eigentlich Szenen waren. Dann habe ich daraus „Chips With Everything“ gemacht, mein kommerziell erfolgreichstes Stück, das im Londoner Westend mehr als ein Jahr lief.

Sie gelten auch als politischer Autor. Ihre Eltern, jüdische Emigranten aus Russland und Ungarn, waren Kommunisten. Wie haben Sie also Ihre Jugend empfunden, zwischen Stalins Schauprozessen und Ungarn 1956?

Wesker: Es war eine gescheiterte Ideologie, das hat mich auch in meinen Anfängen als Dramatiker beschäftigt. „Chicken Soup With Barley“ beschäftigt sich mit dem Verfall einer Familie vor dem Hintergrund des Zerfalls einer Weltanschauung. Da stand am Anfang der neue Mensch, die Leute jubelten, als sie sich der internationalen Brigade im spanischen Bürgerkrieg anschlossen. Es endet mit dem Ungarnaufstand, man kam von der Illusion zur Desillusion. Ich empfand dann alle Ideologie als gefährlich. Wie soll man nach Idealen ohne Ideologie greifen? Für mich ist Greenpeace noch am ehesten dazu geeignet.


Nobelpreisträger Harold Pinter stammt wie Sie aus dem Milieu jüdischer Immigranten in London. Es scheint eine sehr kreative Umgebung zu sein.

Wesker: Es kamen viele Schriftsteller aus diesem Milieu, so wie in den USA Saul Bellow oder Philipp Roth. Seltsam, dass der nie den Nobelpreis bekommt. Pinter hatte aber einen ganz anderen Hintergrund als ich. Seine Eltern waren nicht politisch. Ich war von einer großen Familie umgeben, vielen Onkeln und Tanten, das waren alles Menschen, die in den Westen strömten, weil sie vor den Pogromen im Osten flüchteten. Das ist eine interessante Geschichte, die noch erzählt werden müsste. Harold hat seinen Vater in „The Homecoming“ porträtiert. Er hat das immer geleugnet, aber über Freunde meiner Frau weiß ich, dass es so war.

Schreiben Sie täglich?

Wesker: Mein Tagebuch entspricht dem Umfang von 50 Romanen, ich schreibe also täglich. Aber ich werde langsamer, werde alt. Nun möchte ich das Lesen wieder entdecken. Es gibt das Phänomen der Wortmüdigkeit, das mich erfasst zu haben scheint. Ich lese jetzt vor allem Bücher von Freunden.


Sie waren mit Bertrand Russell im Gefängnis, wegen Ihres Protests gegen Nuklearwaffen...

Wesker: Wir wurden 1961 wegen zivilen Ungehorsams verhaftet und verurteilt, weil wir das „Comittee of 100“ organisierten. Ich war für einen Monat im Gefängnis, ein peinlicher Akt von Heldentum, wenn man bedenkt, dass manchen Menschen lebenslang wegen ihrer Ideen in Haft sind. Aber ein guter Monat: Ich habe mehr gelesen als sonst in einem halben Jahr. Russell war ein zerbrechlicher alter Mann. Ich werde nie vergessen, wie dieser Philosoph von einem ignoranten Wärter angebrüllt wurde, als sei er ein gewöhnlicher Krimineller. Ich dachte mir, wir würden auch in England Leute haben, die Konzentrationslager organisieren.

BIOGRAFIE: Arnold Wesker

Der Autor Arnold Wesker wurde 1932 als Sohn russisch-ungarischer Juden in London geboren. 1956 schrieb er sein erstes Stück, „The Kitchen“, es wurde so wie die „Wesker-Trilogie“ (1958–60) ein riesiger Erfolg. Neben 44 Dramen schrieb er auch Prosa, Gedichte und Autobiografisches. [N. Mayer]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2010)

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