"Oasis oder Blur" als Fahnenfrage

Oasis oder Blur Fahnenfrage. Im Bild: Band Blur.
Oasis oder Blur Fahnenfrage. Im Bild: Band Blur.(c) REUTERS (LUKE MACGREGOR)
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Von seinem Leben als Magazinjournalist in den 90er-Jahren erzählt Andreas Bernard im Debütroman "Vorn". Und vom aussichtslosen Spagat zwischen unvereinbaren Welten.

Als der Uni-Absolvent Tobias Lehnert das erste Mal die „Vorn“-Redaktion betritt, ist es um ihn geschehen. Die Atmosphäre in den Räumen der Magazinbeilage einer großen deutschen Tageszeitung zieht Tobias sofort in ihren Bann. Als gleich sein erster Text als freier Mitarbeiter veröffentlicht wird, und sich nahtlos die Möglichkeit einer festen Tätigkeit bei dem Magazin ergibt, katapultiert das den jungen Mann in eine völlig neue Realität.

Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen völlig, Tobias spinnt mit seinen Redakteurskollegen ständig an neuen Geschichten, egal ob untertags in der Redaktion oder abends im bevorzugten Lokal. Der Pop- und Lifestyle-Interessierte bekommt nun für alle Konzerte Freikarten, liest Bücher als Rezensionsexemplare, hört Platten vorab und fühlt sich damit allen anderen da draußen immer um einen Schritt voraus.

Als Tobias auf Anzüge des Designers Helmut Lang (Größe 48) als Dienstkleidung umsteigt, ist schließlich auch äußerlich der Wandel vom Studenten zum Jugendkulturjournalisten endgültig vollzogen. Am Wochenende bleibt seine langjährige Freundin Emily, die Tobias bei der Arbeit in einem Flüchtlingsheim kennengelernt hat, sein Rückzugspunkt.


Frau oder Mädchen? Doch als die Praktikantin Sarah in die „Vorn“-Redaktion kommt und damit in das Leben von Tobias tritt, wird für den jungen Journalisten schlagartig die Unvereinbarkeit seiner Berufswelt mit seinen bisherigen Einstellungen augenscheinlich. Hier Sarah, der attraktive, scheinbar einer Kookai-Reklame entsprungene Archetyp des Neunzigerjahre-Mädchens, die nach Tobias' Theorie allesamt attraktiver waren als die Mädchen zehn Jahre zuvor. Dort Emily, eine Frau mit sozialem Engagement, mit stabilem Umfeld sowie Einstellungen, für die ihre Beziehung zu Tobias wesentlicher Bestandteil der Zukunftsplanung ist. Bald wird dem Journalisten klar, dass er nicht nur zwischen zwei Frauen steht, sondern dass sich der Riss quer durch seine Persönlichkeit nicht mehr weiter ignorieren lässt.
Andreas Bernard, selbst langjähriger Redakteur beim Magazin der „Süddeutschen Zeitung“, beschreibt in seinem Debütroman die Blütezeit des „Listen von unnützem Wissen“-Journalismus im deutschen Feuilleton. An simplen Fragen, wie jener, ob man die Britpopper von Blur oder Oasis bevorzugt, konnten sich nicht nur stundenlange Debatten entzünden, sondern entschied sich letztlich auch, was für eine Art Mensch man eigentlich war. Quasi programmatisch der Satz eines „Vorn“-Redakteurs: „Ist es nicht wahnsinnig anstrengend, wenn du die Messlatte bei Menschen so hoch ansetzt wie bei Texten? Dann gibt es nur noch zwei, drei Leute, mit denen du wirklich was anfangen kannst.“


Milchkaffee und Stylefaschismus. Diesen Stylefaschismus, der sich aus dem spielerischen und intelligenten Befassen mit Gegenwartskultur oft ergibt, demaskiert Bernard in „Vorn“ mit eindrücklichen Beispielen. So lieben Tobias und Emily etwa das Sonntagsfrühstück als fixen Bestandteil ihrer Beziehung, dazu gehören auch große Milchkaffeeschalen, die sie regelmäßig von gemeinsamen Reisen mitbringen. Als einer seiner „Vorn“-Kollegen eines Tages postoliert, dass „nur studentische Dauerfrühstücker, die nichts auf die Reihe kriegen“ aus solchen Tassen trinken, steigt Tobias auf Espresso um. Und verrät so erstmals seine Freundin.

Die Stärke von Bernards Roman, der auf den ersten hundert Seiten seine Längen hat, ist neben vielen genauen Beobachtungen, wie die Tatsache, dass selbst die simple Frage, wo man im Kino sitzen soll, für eine frische Beziehung zur Belastungsprobe werden kann, vor allem das Aufzeigen eines Problems einer ganzen Generation: Wie verbindet man die Begeisterung für Alltagskultur, Kunst und Lebensart, die für Bernards Zeitgenossen die Beschäftigung mit ernsten Themen wie Politik abgelöst hat, mit dem echten Leben? Wie sind diese Interessen würdevoll mit dem Dasein als Erwachsener zu vereinbaren? Auch die Antwort darauf spricht sehr für Bernards Buch: wahrscheinlich überhaupt nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

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