Website "I Write Like": Schreiben wie Shakespeare

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Seit Kurzem ist die Webseite „I Write Like“ online und hat gleich einen kleinen Kult ausgelöst. Ein Selbstversuch: Ich zum Beispiel schreibe wie Dan Brown. Und wie H.P. Lovecraft. Und wie David Foster Wallace.

Seit Kurzem ist die Webseite „I Write Like“ online – unter iwl.me – und hat gleich einen kleinen Kult ausgelöst: Schließlich, das verspricht Erfinder Dmitry Chestnykh, muss man dort nur einen selbstverfassten Text in die dafür vorgesehene Box einkopieren, den „Analysieren“-Knopf drücken – und schon erfährt man, in wessen Stil man schreibt. Es wird sogar ein Abzeichen zum Einkopieren in die eigene Homepage generiert, auf dem im Idealfall zu lesen ist: „Ich schreibe wie William Shakespeare.“

Via Blogs und Twitter verbreitete sich die Nachricht von dem Wunder rasch: Es gab über 100.000Zugriffe allein in den ersten fünf Tagen. Und tatsächlich klingt die Idee ja unwiderstehlich. Allerdings funktioniert es nur auf Englisch: Deutsche Texte werden unweigerlich Edgar Allan Poe zugeschrieben, aus Gründen, die vielleicht weiter unten noch klarer werden – oder auch nicht. Jedenfalls wage ich den Selbstversuch mit einigen meiner englischen Texte. Die erste Einsicht ist ernüchternd: Ich schreibe wie Dan Brown. Übrigens das häufigste Ergebnis, wie Herumstöbern im Netz lehrt. Der zweite Anlauf ist befriedigender: Mein Artikel über Brasiliens Horrorfilmmeister José Mojica Marins wird des Fantasten H.P. Lovecraft für würdig befunden. Doch ich werde stutzig: Reicht etwa schlicht die wiederholte Verwendung von Worten wie Horror für die Einschätzung? Inzwischen ist mir nämlich auch eingefallen, dass ich in meinem angeblichen Dan-Brown-Text unklugerweise den Da Vinci Code erwähnt habe.


Tatsächlich: Der Erfinder offenbart im Interview, dass sein Algorithmus auf dem sogenannten „Bayes-Klassifikator“ basiert, der oft bei Spamfiltern für E-Mails verwendet wird. „Keine Raketenwissenschaft“, sagt Chestnykh und betont, dass er den Leuten helfen will, ihren Stil zu verbessern: Darum sollte man auch wenigstens ein paar Absätze für die, äh, ordentliche Stilanalyse eingeben – „nicht Tweets“. Als zusätzliche Hilfeleistung gibt es übrigens – unabhängig vom Ergebnis – einen Werbelink zu Stephen Kings Buch „On Writing“. Ich habe nicht darauf geklickt. Ich schreibe nämlich schon wie King. Jedenfalls in meiner Studie über Jean-Claude Van Damme.

Damit bin ich immerhin nicht allein: Wie Stephen King schreibt zum Beispiel auch Herman Melville, der selbst nicht in der Datenbank ist: Da sind erst 50Autoren mit jeweils drei ihrer Werke eingespeichert; unter anderem Margaret Atwood, die bei ihrem Selbstversuch aber herausgefunden hat, dass sie ebenfalls wie Stephen King schreibt. Mel Gibsons jüngste Tiraden dafür: reinste Atwood, wie ein Spaßvogel getestet hat. Und der Blog von Madonnas 14-jähriger Tochter liest sich offenbar wie Kurt Vonnegut.

Als ich also feststelle, dass sich die meisten meiner Texte mit David Foster Wallace messen können, bedeutet mir das seltsamerweise gar nicht mehr so viel. Ein schwacher Trost: Selbst bei Literaturvergleichen zu Bedingungen, die für Internetmüll funktionieren, ist es halt nur wenigen Auserwählten vorbehalten, wie Shakespeare zu schreiben. Namentlich Stefanie Joanne Angelina Germanotta, bekannter als Lady Gaga: in ihrem sensationellen Sonett „Alejandro“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2010)

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