„Satanische Verse“ bald auf Türkisch?

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bdquoSatanische Verseldquo bald Tuerkisch(c) REUTERS (ANDREW WINNING)
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Gefährliche Publikation. Ein obskures Kollektiv will Salman Rushdies Skandalwerk in der Türkei veröffentlichen. Ein erster Versuch hatte mit einem Massaker geendet.

Im Internet – wo auch sonst – hat sich ein obskures Verlagskollektiv gemeldet: Es kündigt an, Salman Rushdies „Satanische Verse“ am 28.Januar in der Türkei herausbringen zu wollen. Schon vor siebzehn Jahren gab es einen Versuch, das 1988 erschienene Werk des britisch-indischen Autors in der Türkei als Fortsetzungsgeschichte in einer Zeitung zu drucken – er endete mit einem Massaker.

Hotel in Brand gesteckt

Eine aufgepeitschte Menge belagerte damals in der Stadt Sivas ein Hotel, in dem sich der für die Herausgabe der Satanischen Verse verantwortlich gemachte Satiriker Aziz Nesin aufhielt, und steckte es in Brand. 35 Hotelgäste, darunter bekannte Künstler und Intellektuelle – die meisten Mitglieder der alewitischen Minderheit –, außerdem auch zwei der Angreifer kamen in dem Feuer um. Aziz Nesin entkam nur knapp dem Brand.

Das Kollektiv, das sich „Kara Günes Basim“ (Finstere Sonne Druck) nennt, macht aus der Verwegenheit des Unterfangens keinen Hehl. „Finstere Sonne Druck beabsichtigt, ein mutiges Kollektivunternehmen zu sein. Das Kollektiv haben wir erreicht, nun ist der Mut dran“, schreiben sie auf ihrer Webseite, und: „Finstere Sonne ist nichts für Leute mit schwachen Nerven oder schwachem Magen, das sagen wir gleich.“ Die Finstere Sonne sei für solche, die „in der Finsternis das Pechschwarze sehen wollen“. Man wolle die „Unduldsamkeit“ der Türkei testen.

Der Titel des Kollektivs sei in Anlehnung an die Werke des französischen Spätromantikers Gérard de Nerval entstanden, wird mitgeteilt. Auch ein längerer Auszug aus den Satanischen Versen ist auf der Seite ins Türkische übersetzt.

Ob der mutigen Ankündigung etwas folgen wird und wenn, dann was, ist freilich unklar. Jedenfalls ist ein Unternehmen Finstere Sonne Druck beim Verband der türkischen Verleger nicht bekannt. Beim Ministerium für Kultur und Tourismus wurde bisher auch kein Antrag auf eine Banderole für das Buch gestellt.

Nur Internet-Veröffentlichung?

Obwohl das Cover eines gedruckten Buches im Internet zu sehen ist und der Name des Unternehmens nach Druckerschwärze klingt, liegt daher die Vermutung nahe, dass nur die Veröffentlichung einer Übersetzung im Internet geplant ist. Das wäre weit weniger gefährlich als die „Satanischen Verse“ in Buchform herauszubringen.

Schließlich kann man ins Internet keine Brandsätze werfen. Allerdings wäre es ein Leichtes, per einstweiliger Verfügung von irgendeinem Gericht in der Türkei die entsprechende Webseite schwärzen zu lassen.

Vielleicht plant ja das Kollektiv, einen Kleinkrieg mit der türkischen Internetzensur zu starten, mit den mittlerweile bewährten Methoden von WikiLeaks.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2011)

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