Slupetzky: "Rotzig und unkorrekt und wienerisch"

Slupetzky Rotzig unkorrekt wienerisch
Slupetzky Rotzig unkorrekt wienerisch(c) Clemens Fabry
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Stefan Slupetzky lässt sich nicht gerne einordnen: Er ist Schriftsteller und Musiker, er liebt das Unkorrekte und glaubt an die Liebe. Der "Presse am Sonntag" erzählt er, warum er Ruhe und Zigaretten braucht.

Sie thematisieren in Ihren Büchern gerne eine gewisse negative Grundstimmung in Wien, den Grant, die Unzufriedenheit. Wie erklären Sie sich diesen Aspekt des Wienerischen?

Stefan Slupetzky: Ich nehme an, es bietet auch einen gewissen Schutz.

Schutz wovor?

Vor all zu raschen Veränderungen oder groben Eingriffen. Die Österreicher sind angeblich obrigkeitshörig, aber ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich habe eher den Eindruck, es muss alles langsam und überlegt vor sich gehen.

Fördert negative Energie die Kreativität?

Ich kann mir kein besseres Biotop vorstellen als eines, in dem politisch unkorrekt geredet und relativ politisch korrekt gefühlt oder gehandelt wird. Und so schiach die Wiener auch reden– und teilweise wählen –, es herrscht grundsätzlich eine Atmosphäre des zwischenmenschlichen Wohlmeinens.

Es gibt es also, das goldene Wienerherz?

Schwer zu sagen. Die Kreise, in denen man sich bewegt, sind natürlich relativ abgezirkelt. Aber was meinen Freundes- und Bekanntenkreis betrifft, ist das so.

Schreiben Sie tagsüber, zu einer bestimmten Zeit, nachts?

Nachts geht schon einmal nicht, weil ich einen kleinen Sohn habe. Da muss man auch darauf schauen, dass man zu seinem Schlaf kommt. Im Grunde bin ich sehr undiszipliniert. Ich stehe auf, mache mir einen Kaffee und setze mich an die Arbeit. Oft bis zum Abend.

Bleiben Sie sitzen, auch wenn Sie keinen Einfall haben?

Ja, das ist grauenhaft, dann sitze ich einfach herum. Ich sage deshalb undiszipliniert, weil ich nicht die Disziplin habe, dann eine Pause zu machen, spazieren zu gehen, damit neue Gedanken kommen. Sondern ich sitze da und weide mich an meiner Unfähigkeit und verkrampfe mich immer mehr.

Sie sprechen von Unfähigkeit, aber Ihr Output ist doch gewaltig.

Ich weiß ja, wie viele Seiten manche Kollegen durchschnittlich schreiben, bis zu 30 Seiten am Tag, da erblasse ich. Ich empfinde mein Plansoll als sehr gering. Ich schreibe etwa eine Seite täglich.

Bringt Sie das manchmal um den Schlaf, wenn Sie das nicht schaffen?

Ich bin dann schlecht aufgelegt. Ich fühle mich unnütz und bin unzufrieden.

Ist das Schreiben Lust oder Qual?

Eine Qual. Und wenn es gut funktioniert, dann ist es eine Lust.

Sie sind so vielseitig engagiert, Sie arbeiten als Dramaturg für die Festspiele in Reichenau,Sie machen Musik. Wenn das Schreiben eine Qual ist, warum machen Sie es dann?

Die Musik ist für mich auch sehr schreiborientiert. Neunzig Prozent meiner Arbeit dafür sind die Texte. Aber von der Musik alleine könnten wir gar nicht leben. Die Musik ist überhaupt keine Qual. Es ist eine wunderbare Abwechslung. Vor allem, weil es bei uns um eine schräge Form geht und man so richtig rotzig und unkorrekt und wienerisch sein darf. Außerdem macht es eine große Freude, mit den beiden Herren auf Tour zu gehen.

Einer Ihrer Kollegen beim „Trio Lepschi“ ist Ihr Bruder. Waren Sie einander immer nahe?

Bis 16, 17 waren wir einander überhaupt nicht zugetan – und dann ist das plötzlich ins Gegenteil umgekippt. Seitdem mögen wir uns sehr gerne und sind froh über unsere gemeinsamen Erinnerungen. Auch an unseren Vater, der nun schon sehr lange tot ist. Dass wir noch jemanden haben, der ähnlich denkt, der Erinnerungen an eine unwiederbringliche Vergangenheit hat ...

Sie haben bisher für alles, was Sie angepackt haben, immer sehr gute Rezensionen bekommen. Sind Sie nervös vor dem nächsten Werk?

Ich bin immer von einer angstvollen Erregung ergriffen, wenn ich etwas Neues mache. Momentan schreibe ich an meinem ersten völlig eigenen Theaterstück. Ich habe mich schon lange nicht so geplagt. Ich hadere damit, ob es gut genug ist. Da habe ich totale Selbstzweifel.

Können Sie schon etwas über das Stück verraten?

Es ist ein Auftrag des Stadttheaters Walfischgasse. Aber es gibt überhaupt keine thematischen Vorgaben, das macht es ja so schwierig. Ich habe mir überlegt, wird es eine Komödie, ein ganz ernstes Stück, ein Singspiel, eine bösartige wienerische Anklage auf den Zeitgeist? Und schließlich bin ich zu dem Schluss gekommen, es wird alles. Ich möchte bald damit fertig sein.

Würde das Finanzielle keine Rolle spielen, was würden Sie dann machen?

Das ist eine Frage, die ich mir immer wieder stelle. Ich weiß es nicht. Ich denke, ich würde mit der Musik weitermachen. Ich weiß nicht, ob ich noch einen Roman schreiben würde. Das ist schon eine ungeheure Belastung. Ein Jahr lang Akkordarbeit.

Wird es noch einen weiteren Fall für den Lemming geben?

Für mich ist das offen. Wir haben jetzt eine unbefristete Trennung voneinander vereinbart. Wir mögen und respektieren einander noch. Man weiß eben nicht, wann wir einander wieder über den Weg laufen.

In Ihren „Lemming“-Büchern geht es teils sehr grausam zu. Haben Sie da nicht manchmal Angst davor, den Teufel an die Wand zu malen?

Doch natürlich. Aber zum Glück kommtes nur ganz selten vor, dass sich das, was ich schreibe, auf mein eigenes Leben bezieht. In einem Roman gab es eine grauenhafte Szene, bei der ein kleines Kind sehr hässlich zu Tode kommt. Das Kind in dem Buch ist noch nicht ein Jahr alt. Als ich bei meiner eigentlich chronologischen Art zu schreiben zu dieser Szene kam, war mein Sohn knapp ein Jahr alt. Ich habe dann einen Sprung gemacht, einen Teil ausgelassen und diese Szene ganz bewusst erst dann geschrieben, als mein Sohn älter war.

Wenn Sie Angst vor einer gewissen Verselbstständigung hatten, warum ließen Sie die Szene nicht ganz weg?

Sie war dramaturgisch wichtig. Aber ich habe mich zu diesem Zeitpunkt bewusst nicht hineinbegeben. Mir den Tod des Kindes vorzustellen und auszumalen, das habe ich eben auf später verschoben.

Diese Art der Visualisierung müsste dann doch auch im Positiven funktionieren?

Ja, ich denke schon.

Haben Sie das selbst erlebt?

Das ist ein sehr magisches ... Geheimnis. Es ist so wahnsinnig schwierig, das richtig zu nützen. Wenn man etwas unbedingt erzwingen will, dann weicht es vor einem zurück. Wenn man mit großer Gelassenheit sagt, okay, ich lasse die Dinge passieren, wie sie kommen ... Ich habe zum Beispiel, seit ich geschlechtsreif bin, und das ist schon sehr lange her, immer nach einer weiblichen Ergänzung gesucht. Das habe ich mir sehr sehr intensiv gewünscht, eine Frau, mit der ich wirklich kann. Und die auch mit mir kann. Dieser Versuch ist unzählige Male in die Hose gegangen. Und irgendwann war ich so weit, dass ich wirklich verzweifelt war und gesagt habe, okay, das wird eh nichts.

Das ist dann in eine positive Stimmung umgeschlagen. Ich habe mir gedacht, jetzt hast du fast 25 Jahre deines Lebens mit der Suche nach etwas vergeudet, was du nicht unbedingt zum Leben brauchst. Ich habe dann plötzlich gelernt und genossen, alleine zu sein. Das war eine ganz tolle Erfahrung. Und in dem Moment, als ich mit fröhlichem Herzen diesen Wunsch aufgegeben habe, habe ich meine Frau kennengelernt. So ist es. Das meine ich mit Wünschen, aber den Wunsch auch loslassen zu können. Das hat die Natur natürlich auch ein wenig hinterhältig eingerichtet.

Sie sind ein vehementer Gegner des Rauchverbots. In Ländern, die als veränderungswilliger gelten als Österreich, etwa in Italien, hat es damit kein Problem gegeben, in Österreich ist es ein Reizthema geblieben. Wieso?

Ich bezweifle es, dass das in Italien so problemlos geschluckt wurde. Ich glaube, es gibt da eine große Maschinerie, die uns das glauben machen will. Und da spielen auch die Medien mit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Leute in Italien einfach so zum Rauchen auf der Straße zusammenrotten und kuschen. Berlusconi hin oder her, aber ein bisschen Demokratieempfinden traue ich sogar den Italienern zu.

Dafür soll es draußen vor der Tür zu vielen Flirts kommen.

Das ist natürlich furchtbar ärgerlich für alle Tabakfeinde, wenn sie die Raucher schon vor die Tür schicken und dann haben die immer noch ihren Spaß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2011)

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