Sibylle Lewitscharoff: In der Höhle mit dem Löwen

Sibylle Lewitscharoff schildert Leben und Gedanken des deutschen Philosophen Hans Blumenberg.

„Höhlenausgänge“ – in Anspielung an Platos Höhlengleichnis, aber auch an die Wohnungen unserer Ahnen – hieß 1989 ein Hauptwerk des deutschen Philosophen Hans Blumenberg (1920 bis 1996). Die deutsche Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff nennt das letzte Kapitel ihres fünften Romans „Blumenberg“ so: Es ist quasi ein Nachspiel, Blumenberg ist bereits am Ende des vorletzten Kapitels gestorben, nun wird der Tod gleichsam von innen geschildert, aus der Perspektive des Sterbenden. Die letzten „Wortleiber“ und „Silbenkombinationen“ gehen durch seinen ermattenden Kopf, und letzte Zeilen eines Goethe-Gedichts: „Stille Sehnsucht“, das ist jenes Gedicht, das so endet: „Und solang du das nicht hast, dieses: Stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde.“

Diese Zeilen lässt Lewitscharoff ihren Blumenberg nicht mehr sagen, nein, der Löwe ruft ihn bei seinem Namen und „reißt ihn in eine andere Welt“. Der Löwe? Ja, dieses Tier gesellt die Autorin dem Philosophen bei, der tatsächlich Anekdoten über Löwen gesammelt hat, die posthum erschienen sind. Nur Blumenberg, der „Weltbenenner“, sieht den „weltabweisenden“ Löwen, der dadurch, dass er wahrgenommen wird, „auf eine neue und andere Art der Fall ist“.

Wittgenstein und Goethe, Heidegger und Nietzsche: Lewitscharoff spart nicht mit Anspielungen und Zitaten, ihr Held ist „mühelos Ptolemäer und Kopernikaner zugleich“; seine finale Höhle gleicht dem Behältnis in Samuel Becketts „Verwaiser“. All das macht ihren Roman anstrengend, wenn auch auf fesselnde Weise. Die „philosophische Substanz“ Blumenbergs fehle, urteilte Philosoph Peter Strasser im „Spectrum“. Mag sein. Es ist letztlich ein Buch über das Verschwinden, über das Entgleiten der Gedanken. Als solches wesentlich unbefriedigend: Der Löwe bleibt genauso geheimnisvoll wie der Kopf, den er begleitet. Und der boshafte Witz, der Lewitscharoffs Vorgängerroman „Apostoloff“ ausgezeichnet hat, ist hier rar. Ein strenges Stück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2011)

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