Jan Brandt: Vom Grauen auf dem Lande

Jan Brandts "Gegen die Welt" berichtet von einem auf dem Weg zum Außenseitertum – bedrohlich wie Michael Haneke.

Neun Jahre lang hat Jan Brandt angeblich mit dem Stoff gerungen. 900 dichte Seiten sind es geworden: In seinem für die „Shortlist“ nominierten Debütroman erzählt der 1974 in einem kleinen Dorf in Ostfriesland geborene Autor von den Schrecken auf dem Lande – und von einem, der sich darin verfängt. Daniel Kuper heißt die Hauptfigur, er ist Sohn eines Drogisten, der glaubt, mit „Psychologie“ Käufer fangen zu können (er stellt Fahrräder vors Geschäft, um Kundschaft vorzutäuschen, weil wo Kunden sind, werden Kunden kommen). Und am Abend kann es sein, dass der ehrgeizige Drogist seinem Sohn das „Glück“ einbläut.

Daniel ist ein Kind, wie man viele kennt. Er baut mit Nachbarskindern Schlupflöcher aus Matratzen und klettert schon einmal aufs Dach, er lernt nicht gerne Vokabeln und geniert sich dafür, mit dem dicken Nachbarsjungen befreundet zu sein. Und er wird im Laufe des Buches zerbrechen: an der Brutalität seiner Umwelt, an der Enge des Dorfes, an den Hoffnungen von Vater und Mutter. Und wohl auch an sich selbst und an seiner Schuld: Er und seine Kollegen haben einen Buben in eine Falle gelockt und fast ertränkt – eine Szene wie aus einem Michael-Haneke-Film. Wir erfahren, wie es dem Zugführer geht, als sich der Bub, der sich von der Demütigung nicht mehr erholt, vor die Gleise wirft. Einen „Anfall“ habe er gehabt, heißt es lapidar – so genau will man das im Dorf nicht benennen, so genau will man nicht hinschauen. Genauigkeit liefert die Literatur nach. Es ist ein Roman wie eine Wiedergutmachung.

Jan Brandt hat Geschichte und Literaturwissenschaft studiert, eine Journalistenschule besucht und Erzählungen in der „FAZ“ und der „Süddeutschen“ publiziert. Für seinen Erstling hat er sich eine Menge vorgenommen, verwebt viele Stränge – und auch formal lässt der Autor wenig aus: Im Buch finden sich Plakate für die Drogerie, selbstgebastelte Flugblätter für eine Band, mit Hand verbesserte Briefe ... Sehr ambitioniert. best

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2011)

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