Erbschaftssteuer: Eine Steuer für die „glücklichen Spermien“

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Gleichmacherei oder Königsweg zur gerechten Gesellschaft? Um welche Werte (außer Geld) es bei der „Todessteuer“ noch geht – und warum der Philosoph und Vordenker des Liberalismus John Stuart Mill für sie eintrat.

Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“, sagte Goethes Faust, und das meint nun auch die SPÖ. Wenigstens zu einem Teil sollen Erben das von den Müttern oder Vätern Erworbene noch einmal erwerben müssen. Von Doppelbesteuerung sprechen die Gegner, von sozialer Gerechtigkeit die Befürworter, und die Emotionen gehen hoch wie immer, wenn es um eine der ältesten Steuern der Welt geht: die Erbschaftssteuer.

Wenn eine heutige österreichische Regierung heute wieder einführen will, was die vorige Regierung im Jahr 2008 abgeschafft hat, kann sie sich auf eine lange Tradition berufen. Vielleicht gab es diese Steuer schon bei den Sumerern, sicher im alten Ägypten, wo eine solche Besitzwechselabgabe allerdings erst für das Jahr 117 v. Chr. nachgewiesen ist. Römische Kaiser verlangten fünf, die Westgoten sogar zehn Prozent des ererbten Vermögens. Meist kam die Steuer auf, wenn dringend Geld benötigt wurde – auch in dieser Hinsicht hat der SPÖ-Plan also Tradition.

Sogar die Kirche hatte im Mittelalter ihre inoffizielle Version der Erbschaftssteuer. Wer etwas zu vererben hatte, musste einen Teil der Kirche schenken, sonst riskierte er sein Seelenheil. Abgesehen davon hatte die Erbschaftssteuer aber lange Zeit mit Moral nur wenig zu tun. Diese kam erst mit der Aufklärung ins Spiel.

Reiche Erbschaften hemmen den Fleiß

Der Wunsch, eine Gesellschaft durch Beschneidung oder gar Verbot von Erbschaften besser zu machen, wird gern als sozialistische Gleichmacherei abgetan. Dabei ist diese Idee auch ein Kind des bürgerlichen Liberalismus. Jedermann müsse einleuchten, „dass hinsichtlich des Wohlbefindens des Besitzers der Unterschied zwischen einem mäßigen Reichtum und fünfmal größerem Vermögen unbedeutend erscheint, verglichen mit dem Genuss und den andauernden Wohltaten, welche durch eine anderweitige Verfügung über jene vier Fünftel hätten verschafft werden können“: Das schrieb John Stuart Mill (1806 bis 1873), englischer Philosoph und Vordenker des Liberalismus. Große Erbschaften seien gegen das Leistungsprinzip und die Idee des Individuums, weil sie sich nur der „Zufälligkeit der Geburt“ verdanken und durch sie Fleiß und Entfaltungsmöglichkeiten gehemmt würden. Und weil dadurch immer weniger immer mehr haben, gefährden sie Mill zufolge auch die Freiheit einer Gesellschaft.

Ähnlich wie Mill argumentieren heute Multimillionäre wie Warren Buffett, der nicht einsieht, warum Kinder privilegiert sein sollen, nur weil sie „dem Klub der glücklichen Spermien angehören“. Gleiche Startchancen für alle – das ist ein typisch amerikanisches Argument für die Erbschaftssteuer, erwachsen aus der puritanischen Tradition einer Pioniergesellschaft. 1906 erklärte ein US-Präsident, die Erbschaftssteuer für Reiche sei wichtig, da die immer mehr anschwellenden Vermögen einiger weniger dem Land schaden würden. Es war Theodore Roosevelt, ein Republikaner.

Sogar Marx lenkte ein

Mills französischer Zeitgenosse Alexis de Tocqueville kam durch die Beobachtung Amerikas sogar zum Schluss, dass die Verhinderung großer Erbschaften der Königsweg zur Demokratie sei. Durch sie „werden die Bollwerke, die der Einfluss des Reichtums bildet, zum feinen und veränderlichen Sand zermahlen, der die Grundlage der Demokratie ist“, schrieb er: „Hat der Gesetzgeber einmal das Erbrecht reguliert, kann er seine Arbeit ruhen lassen.“
In Europa spielt das Argument der Chancengleichheit eine viel geringere Rolle. Die Befürworter einer Erbschaftssteuer berufen sich lieber auf „soziale Gerechtigkeit“: Wer viel habe, könne mehr entbehren, die Steuereinnahmen sollen für sozialpolitische Maßnahmen wie Armutsbekämpfung oder Bildungsförderung verwendet werden.

Eine Mentalität, die auf halbem Weg zwischen Mill und Marx zu liegen scheint. Karl Marx und Friedrich Engels hatten die Abschaffung des Erbrechts – die schon Frühsozialisten wie Henri de Saint-Simon gefordert hatten – zunächst in ihrem Kommunistischen Manifest, ließen sie dann aber doch weg. Sie fürchteten, zu viele Menschen könnten sonst aus Angst vor Verlust ihres Eigentums gegen die sozialistische Bewegung sein. Die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln, Grund und Boden würde denselben Verteilungseffekt erzielen.

„Unverdientes Vermögen“

Jens Beckert, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, hat unter anderem in seinem Buch „Unverdientes Vermögen“ eine Soziologie des Erbrechts entwickelt. Ihm zufolge sind die Prinzipien der Chancengleichheit und der sozialen Gerechtigkeit zwei von vier Werthaltungen, die im Streit um die Erbschaftssteuer aufeinanderstoßen. Als weitere zwei nennt er das Gemeinschafts- und das Familienprinzip.

Lieber Stiftung als Staat

Menschen, die auf eine moralische Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber pochen, können sich auf den US-Großindustriellen Andrew Carnegie berufen. „The man who dies rich dies disgraced“, schrieb er in „The Gospel of Wealth“ (1889). Er forderte eine hohe Erbschaftssteuer, da sie die Reichen dazu bringen würde, ihr Geld in gemeinnützige Stiftungen zu überführen. Viele Amerikaner hängen dieser Idee an. Sie misstrauen nicht nur der Familie, sondern auch einem umverteilenden Staat – im Gegensatz zu den moralisch argumentierenden Befürwortern der Erbschaftssteuer in Deutschland oder Österreich.

Jene schließlich, die die Rechte der Familie betonen, haben in Friedrich Hegel einen Kronzeugen. Erben bedeutete für ihn das „Eintreten in den Besitz des an sich gemeinsamen Vermögens“ einer Familie. Diese Mentalität sei typisch für den deutschsprachigen Raum, sagt Beckert. Sie ist vom Gefühl beherrscht, dass die Familie eine vor dem Staat zu schützende Sphäre ist. Und da Eigentum als Familieneigentum gilt, wird die Erbschaftssteuer zum Angriff auf die Familie überhaupt.
Vielleicht ist das mit ein Grund, warum in Deutschland und Österreich die meisten Bürger eine Erbschaftssteuer ablehnen, obwohl die Mehrheit gar nicht davon betroffen wäre. Bei der deutschen und der geplanten österreichischen Regelung betragen die Freibeträge für Ehegatten 500.000 Euro, für Kinder 400.000 Euro. Auch in den USA beträfen die aktuellen Regierungspläne für eine Erbschaftssteuer nur einen sehr kleinen Prozentsatz aller Einwohner und trotzdem wird die Debatte ungeheuer emotional geführt. Beckert zufolge ist das ein generelles Phänomen bei Diskussionen um die Erbschaftssteuer, die eigentlich zu den unbedeutendsten Steuerquellen gehört: Die Heftigkeit der Debatte steht in keinem Verhältnis zu ihrer Bedeutung.

Sakrale Aura des Nachlasses

Könnte das auch damit zu tun haben, dass diese Steuer wie keine andere an tiefste Schichten des menschlichen Lebens rührt? „Death tax“ wird die Erbschaftssteuer in den USA auch genannt – ein besseres Wort hätten ihre Gegner kaum finden können, um sie in Verruf zu bringen. Durch den Tod wird das Eigentum eines Menschen zu etwas Besonderem, in manchen archaischen Gesellschaften wurde es mit Tabus belegt oder sogar zerstört. Diese sakrale Aura lässt eine staatliche Einmischung pietätlos erscheinen. Und ein Rest dieser Aura besteht bis heute. Auch wenn wohl nur noch wenige sie so empfinden wie der kleine Bürgersohn Hans Castorp in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ beim Anblick der alten Familientaufschale. In sie sind die Namen seiner Ahnen eingraviert; „und dann verdoppelte, verdreifachte und vervierfachte sich die Vorsilbe ,Ur‘, dieser dunkle Laut der Gruft und der Zeitverschüttung . . .“

Jüngere Geschichte der Erbschaftssteuer in Österreich

Per August 2008 wurde die Erbschaftssteuer in Österreich abgeschafft. Vorausgegangen war eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, der die Regeln für die Steuerbemessung als rechtswidrig aufgehoben hatte. Für Liegenschaften war nämlich nicht der reale Wert, sondern der vor Jahren festgelegte und veraltete Einheitswert als Bemessung herangezogen worden. Der Politik wäre es zwar ein Leichtes gewesen, das Gesetz so zu reformieren, dass es weiterhin eine (diesmal korrekt bemessene) Erbschaftssteuer gibt. Die ÖVP verweigerte aber ihre Zustimmung, sodass das Gesetz über die Erbschaftssteuer komplett außer Kraft trat.
In der Regierung wurde das Thema aber zum Dauerbrenner, zumal immer wieder SPÖ-Vertreter Druck wegen einer Erbschaftssteuer machten. Neue Nahrung erhält das Thema in den aktuellen Verhandlungen. Der SPÖ schwebt eine Erbschaftssteuer mit neuen Freibeträgen vor: Wer etwa von seinen Eltern ein Haus erbt, soll dann zur Kasse gebeten werden, wenn das Erbe (realer Wert) mehr als 400.000 Euro beträgt. Als Steuersatz für Kinder sind elf Prozent (auf den Betrag, der über 400.000 Euro hinausgeht) im Gespräch. Die ÖVP ist zwar gegen die Erbschaftssteuer. Politische Beobachter können sich aber gut vorstellen, dass sie einer Wiedereinführung doch noch zustimmt.

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