Lissabonner Requiem: Antonio Tabucchi ist tot

Lissabonner Requiem Antonio Tabucchi
Lissabonner Requiem Antonio Tabucchi(c) EPA (TONI ALBIR)
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Der italienische Schriftsteller mit der zweiten Heimat in Portugal ist im Alter von 68 Jahren gestorben. In seinen Büchern erwies er sich als Meister in der fantastischen Verschränkung von Geschichten.

Ein sonderbarer Journalist, der die Nachrufe im Voraus schreibt, ein Unpolitischer, der wider Willen in die Politik geworfen wird, sich endlich im Widerstand gegen die Diktatur in Portugal engagiert, weil er versteht, dass man im Faschismus nicht neutral bleiben darf. Das ist der (zunächst passive) Held von „Erklärt Pereira“ (1995), dem wohl bekanntesten, mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle verfilmten Roman von Antonio Tabucchi. Er spielt in Lissabon, der zweiten Heimat des in Pisa geborenen Tabucchi, der an der Uni Genua eine Professur für portugiesische Sprache und Literatur hatte und ein Buch („Lissabonner Requiem“) sogar auf Portugiesisch schrieb. Zum Portugiesisch-Studium hatte ihn die Lektüre von Fernando Pessoa gebracht, erzählte Tabucchi einmal, mit ihm befasste er sich sein Leben lang, ihn schilderte er nicht nur in der fiktiven Biografie „Die letzten drei Tage des Fernando Pessoa“.

Heftige Kritik an Berlusconi

„Wenn ich in Italien bin und mir geht etwas auf die Nerven, kann ich denken, dass ich eigentlich auch ein bisschen Portugiese bin“, sagte Tabucchi einmal. In Italien ging ihm in den letzten Jahren vor allem das System Berlusconi „auf die Nerven“, und so äußerte er sich immer zorniger darüber: Berlusconi habe „Italien vergiftet“ und „alles vulgarisiert“, sagte er. Seine Möglichkeiten, als Schriftsteller ins Zeitgeschehen einzugreifen, sah er freilich skeptisch: „Heute kann jeder Idiot im Fernsehen in Sekundenschnelle Millionen von Menschen erreichen... mit einem Buch hingegen?“

In seinen Büchern erwies er sich als Meister in der fantastischen Verschränkung von Geschichten – und auch von Erzählformen: Sein Roman „Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro“ (1997) etwa ist nicht nur ein spannender Krimi (in dem wieder ein Journalist eine wichtige Rolle spielt), sondern auch ein Konvolut von Essays, über die Stadt Porto, über die Folter. In „Am Rande des Abgrunds“ sucht ein Mediziner namens Spino (in Anspielung auf Spinoza) nach der Identität eines Erschossenen namens Nobodi. Und im Briefroman „Es wird immer später“ (2002) findet sich ein Brief an das „innigst geliebte“ Molekül Hämoglobin...

Tabucchi war nicht nur ein gelehrter Autor, sondern auch ein höchst produktiver: An die 30 Romane sind von ihm erschienen. Nun ist er, wie sein Übersetzer mitteilte, „nach langer, schwerer Krankheit“ in Lissabon gestorben. (tk) [EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2012)

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