Menasse: Günter Grass als "Clown der Medienindustrie"

Menasse Guenter Grass Clown
Menasse Guenter Grass Clown(c) EPA (MARCUS BRANDT)
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Den eigentlichen Skandal würden die Medien produzieren, meint der Essayist und Autor. Josef Haslinger verteidigt den Literaturnobelpreisträger.

Der eigentliche Skandal um das Israel-kritische Gedicht von Günter Grass liegt nach Ansicht des österreichischen Schriftstellers Robert Menasse darin, dass fünfzehn deutsche Zeitungen und fünfundzwanzig Blätter der Weltpresse diesen Text des Literaturnobelpreisträgers publiziert haben und ihn "sofort mit aufgeregten Kommentaren umrankten". In einem Beitrag für das am Donnerstag erscheinende Wiener Magazin "News" schrieb Menasse: "Die Medien produzieren selbst den Skandal, den sie dann berichten, kommentieren und diskutieren."

Grass sei nicht erst mit diesem Text ein "Clown der Medienindustrie" geworden, "die Medienmacher schauen ihm lachend und händereibend zu, wie er offene Türen dort einzurennen versucht, wo gar keine sind, sondern nur aufgemalte Scheunentore in der Kulissenlandschaft der Öffentlichkeit", kritisiert Robert Menasse. Als "lyrisch" könnte man das "Gedicht" nur insofern bezeichnen, als es "eine Befindlichkeit und Gestimmtheit ausdrückt, die ich literaturgeschichtlich nur von einigen weitgehend vergessenen Beispielen jener Rauschgedichte kenne, die entstanden, als Dichter beim Schreiben mit Drogen experimentierten. Aber auch das stimmt nicht ganz - denn der Anspruch war damals immerhin Bewusstseinserweiterung."

Menasse: Grass ist kein deutscher Intellektueller

"Traurig ist an dieser Geschichte, dass sie nun zum Anlass genommen wird, die Idee der engagierten Literatur und den Begriff des Intellektuellen grundsätzlich infrage zu stellen und der Lächerlichkeit preiszugeben", schreibt der Autor und Essayist. "Grass war ja, das weiß man seit längster Zeit, nie ein Intellektueller im Sinn des Begriffs. Der Intellektuelle kritisiert Herrschaft, er engagiert sich nicht für Herrschaft. Er bekämpft Übel, er verwendet sich daher auch nicht für eine so trostlose Idee wie das 'geringere Übel'. Grass aber hat seit Jahrzehnten immer wieder dies gemacht: zur Wiederwahl regierender Kanzler aufgerufen, wenn sie nur Sozialdemokraten, also das 'geringere Übel' waren."

"Mir ist schleierhaft, wie Grass jemals mit einem 'deutschen Intellektuellen' verwechselt werden konnte", schreibt Menasse. "Er ist ein gefundenes Fressen für jene Medien, die zynisch oder womöglich ernsthaft glauben, dass ihr Dünnschiss, den sie nach dem Fressen haben, eine wichtige Nachricht in der Rubrik 'Shit happens' ist."

Haslinger: "Im Prinzip wichtigen Punkt angesprochen"

Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger, Direktor des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig und Professor für literarische Ästhetik, dem Literaturnobelpreisträger bescheinigt, Grass hingegen, "im Prinzip einen wichtigen Punkt angesprochen" zu haben. Grass habe nämlich aufgezeigt, dass in Verhandlungen über die Beschränkung von Atomwaffen die israelischen Atomwaffen und ihr Beitrag zur Aufrüstung im Nahen Osten stets ausgespart würden, sagte Haslinger der "Leipziger Volkszeitung" (Mittwoch). "Bloß fehlt Grass die nötige moralische Autorität für dieses Thema", fügte Haslinger hinzu.

Der deutsche Schriftsteller Erich Loest hat seinerseits Grass verteidigt. "Es wäre wünschenswert, zuständige internationale Behörden würden sich Israels heißeste Keller zeigen lassen", heißt es in einem Brief des 86-Jährigen, den die "Leipziger Volkszeitung" am Mittwoch veröffentlichte.

Die Causa

In dem Gedicht "Was gesagt werden muss" hatte Grass gemeint, die Atommacht Israel bedrohe den Weltfrieden und könne das iranische Volk mit einem Erstschlag auslöschen. Das brachte ihm international heftige Kritik ein. Israel verhängte ein Einreiseverbot gegen Grass.

(Ag.)

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