Ein Literat von labilem Charakter, ein Bildungsbürger, ein Beobachter vielschichtiger Seelenstrukturen: Hugo von Hofmannsthal. Sein „Jedermann“ ist seit fast hundert Jahren ein Publikumsmagnet.
Der liebe Gott stand einem so christlichen Spiel wohlwollend gegenüber. Die Sonne strahlte vom Himmel . . . es herrschte tiefe Andacht“, berichtet Berta Zuckerkandl, die letzte Salonnière Wiens im Glanz des Fin de Siècle, die als Freundin des Theaterzauberers Max Reinhardt auch die Anfänge der Salzburger Festspiele aus nächster Nähe beobachtet – als vor 98 Jahren auf dem Domplatz die erste „Jedermann“-Aufführung stattfindet. Die allererste Saison in Salzburg besteht überhaupt nur aus dem Mysterienspiel des armen reichen Mannes, der versucht, glauben zu lernen: „Die Bretterbühne vor dem Dom, das Seltene dieses Schauspiels verbreitet Beklemmung über die herbeiströmende Menge.“
Vor der ersten Reihe sind drei Sessel aufgestellt. Regisseur Max Reinhardt und Autor Hugo von Hofmannsthal setzen sich. Zwischen ihnen ein gespenstischer Gast im Lodenmantel, die Kapuze hat er über den Kopf gezogen. Fanfarenstöße verkünden den Beginn des Gruselspiels. Kaum erscheint der Gute Geselle auf der Bühne, wirft die geheimnisvolle Lodenfigur den Umhang resolut von den Schultern und springt mit einem Satz auf das Podium. Es ist ein Star dieser Zeit. Alexander Moissi. Der erste Jedermann.