Wikipedia: Das virtuelle Image gut steuern

Im Internet-Lexikon kann jeder jeden Eintrag bearbeiten – oder bearbeiten lassen.

Wenn Sie in die Suchmaske des Online-Lexikons Wikipedia „Die Presse“ tippen, erhalten Sie allerlei Informationen über die Zeitung, die Sie gerade in Händen halten. Wären Sie nun eine Marketing- oder PR-Agentur und suchten ein neues Geschäftsfeld, könnten Sie der „Presse“ vorschlagen, ihren Eintrag zu überarbeiten – mit allen Mitteln, die die Werbung bietet. Ein paar Superlative, ein paar subtile Botschaften mehr? Da Wikipedia (www.wikipedia.org) eine freie Enzyklopädie ist – also jeder Benutzer Einträge verfassen oder verändern kann –, ist das kein Problem.

In den USA gibt es ein solches Unternehmen: „MyWikiBiz“ bietet Firmenkunden an, Einträge über sie zu verfassen, ab 49Dollar ist ein Stub (so werden ganz kurze Wikipedia-Artikel genannt) zu haben. Und das ist gar nicht im Sinne von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales. Er ließ den Zugriff des Eigentümers von MyWikiBiz, Gregory Kohs, auf Wikipedia sperren.

„Damit müssen wir erst umgehen lernen“

Ähnlich erging es Microsoft: Das Software-Unternehmen lancierte im Dezember 2005 ein neues Datenformat, Office Open XML. Bald darauf existierte dazu ein Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia-Version. Der zuständige Produktmanager von Microsoft fand den Artikel jedoch unsachlich – und heuerte einen australischen Software-Entwickler an, um den Eintrag zu überarbeiten. Auch diese Aktion sorgte für Aufregung in der Wikipedia-Community.

Ist es legitim, Einträge zu honorieren? „Das ist eine Frage, mit der wir erst umgehen lernen müssen“, sagt Mathias Schindler, ehrenamtlicher Mitarbeiter bei Wikimedia Deutschland, einem gemeinnützigen Verein, dessen Hauptzweck die Förderung freier Inhalte in der Online-Enzyklopädie ist. „Was wir wollen, sind gute, sachliche Inhalte. Natürlich kennt sich derjenige, der mit einem Produkt zu tun hat, meist am besten damit aus. Aber wir sehen auch, dass das zu Interessenskonflikten führt. Soll etwa ein Journalist der ,Presse‘ Aktualisierungen des Eintrags über die ,Presse‘ vornehmen dürfen? Wir in der deutschsprachigen Ausgabe sind da vielleicht etwas liberaler als die englischsprachige: Wir gehen davon aus, dass die Community manipulierte Einträge erkennt – und entsprechend verändert.“

Die Community als Müllabfuhr

Wales sieht das anders: Es wäre so, als würde man die Verschmutzung der Städte zulassen, nur weil die Müllabfuhr ja sowieso kommt – so begründete er das Sperren von befangenen Autoren.

Frank Hartmann, Medientheoretiker an der Universität Wien, kennt darin ein altes Problem wieder: „Auch in den Kultur- und Geisteswissenschaften gibt es solche Einträge. Es gibt Professoren, die sich in ein bestimmtes Fachgebiet namentlich einschmuggeln lassen. Als Insider erkennt man diese Peinlichkeiten sofort, Außenstehende durchschauen solche Manipulationen kaum. Sicher, das Kollektiv braucht Expertenwissen, nicht aber diese Eitelkeiten.“

Sollen die Verantwortlichen nun eingreifen oder nicht? „Online-Angebote sind ab einer bestimmten Größe unregierbar. Greifen die Manager bei Manipulationen ein, werden sie kritisiert, greifen sie nicht ein, werden sie ebenfalls kritisiert.“ In den USA werde Online-Marketing in neuen „viralen“ Formen betrieben, zu denen auch das Erstellen von Wikipedia-Images gehört. „Die Community ist größer, und es wird viel aggressiver vorgegangen, in Europa ist das alles noch nicht so bekannt.“

Eine weitere PR-Aktion sorgte kurz vor Weihnachten für Aufruhr – und wieder war Microsoft involviert. Die amerikanische PR-Agentur Edelman, die mit der Markteinführung des neuen Betriebssystems Vista beauftragt war, schickte verschiedenen Bloggern, darunter auch Wikipedia-Autoren, neue Acer-Notebooks (Modell „Ferrari”, Wert ca.2500Dollar). Dazu folgendes Mail: „Wir würden Ihnen gerne dieses Notebook zukommen lassen. Es wäre ein ,Rezensions-Rechner‘. Wir möchten ihre Meinung zu dem Gerät und dem Betriebssystem hören. Volle Offenheit: Wir hoffen, dass Sie anderen über die Erfahrung mit dem Computer berichten, aber sie sind dazu nicht verpflichtet. Nach dem Gebrauch können Sie das Notebook zurückschicken, Sie können es aber auch behalten oder an andere weitergeben.“

In der Szene wurde Bestechung gewittert, zahlreiche Weblogs zogen über Microsoft her. Ein Blogger führte Microsoft seine Unbestechlichkeit besonders drastisch vor Augen: Er versteigerte das Notebook online auf Ebay und spendete den Erlös der freien Softwareszene. Das brachte wiederum Microsoft auf die Palme: In den späteren E-Mails hieß es, die Notebooks seien entweder an andere Blogger weiterzugeben oder zurückzusenden. Außerdem sei darauf hinzuweisen, dass es sich um ein Rezensions-Notebook gehandelt hätte.

„Das macht halt vielen Angst“

Schindler: „So eine Aktion kann böse nach hinten losgehen und der Reputation des betreffenden Unternehmens sehr schaden. Natürlich ist der Grat schmal: In Deutschland bekommt etwa auch jeder Journalist 15Prozent Rabatt, wenn er sich ein Auto kauft. Wo beginnt so etwas, verwerflich zu werden?“ Hartmann hält das für künstliche Aufregung. „So etwas passiert tagtäglich. Man muss schon blauäugig zu sein, um nicht zu wissen, wie Produkteinführungen passieren.“

Der Medientheoretiker hat auch eine Vermutung dazu, wieso gerade Microsoft immer wieder kritisiert wird: „Microsoft hat viel Geld und wird daher immer in der Lage sein, Leute zu engagieren, die Einträge überwachen und ausbessern. Das macht halt vielen Angst. Immer dann, wenn genug Ressourcen und ein ideologisches Interesse zusammenkommen, lässt sich das virtuelle Image gut steuern. Doch im Netz haben auch Marktführer nicht immer alles im Griff.“

Inline Flex[Faktbox] ONLINE: Homogenes Wissen("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.