Verstorbener BBC-Star: Kultfigur und Kinderschänder

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BBC-Chef George Entwistle musste vor dem Parlamentsausschuss in der Affäre um den verstorbenen Star-Moderator Jimmy Savile Rede und Antwort stehen. Der soll 200 Mädchen missbraucht haben.

London. Er war eine nationale Ikone, ein Exzentriker mit weißblonder Mähne, befreundet mit Margaret Thatcher und Prinz Charles, von Queen und Papst für seine Wohltätigkeitsarbeit geadelt und geehrt. Und er war offenbar einer der schlimmsten Kinderschänder der britischen Geschichte.

Seit BBC-Star Sir Jimmy Savile, der im Dezember 2011 mit knapp 85 Jahren starb, vor drei Wochen durch eine TV-Sendung als pädophiler Serientäter geoutet wurde, fragen sich die Briten entsetzt: Wie konnte der von Generationen verehrte Moderator, der durch die Hitsendung „Top of the Pops“ (1964 bis 2006) berühmt wurde, so lange und trotz vieler Gerüchte und Warnungen ungehindert sein Unwesen treiben?

Der Skandal hat Saviles ehemaligen Arbeitgeber in die „schlimmste Krise seit 50 Jahren gestürzt“, so der renommierte BBC-Veteran John Simpson. Der Sender ist nicht nur in Erklärungsnot, weil er Savile ungestört gewähren ließ (die „Kultur“ sei damals eine andere gewesen, Savile wegen seines Ruhms und seiner Beziehungen unangreifbar, so die gängigen Erklärungen). Sondern auch, weil das Unternehmen kurz nach Saviles Tod einen Bericht über dessen Pädophilie in der Magazinsendung „Newsnight“ in letzter Minute zurückzog – und ihren Kultstar stattdessen posthum im Weihnachtsprogramm feierte. Der zuständige Sendungschef trat deshalb am Montag zurück.

Und BBC-Chef George Entwistle, damals Unterhaltungschef, musste sich am Dienstag vor dem zuständigen Parlamentsausschuss gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, er selbst habe auf die Absetzung des Beitrages gedrängt. Am Montag hatte der Sender einräumen müssen, dass die bisherige Erklärung für den Ausstrahlungsstopp „inakkurat und unvollständig“ gewesen sei. Der inzwischen abgezogene „Newsnight“-Redaktionsleiter hatte behauptet, in dem Bericht sei es nicht um die Pädophilie-Vorwürfe an sich, sondern um mögliche Verfehlungen der Polizei in dem Fall gegangen. Doch dafür hätten sich keine Anhaltspunkte gefunden.

„Ich dachte, das ist der Preis“

Mittlerweile haben 200 mutmaßliche Opfer ihr Schweigen gebrochen: Savile, den die Fernsehnation als fröhlichen Spinner in Ballonseide-Anzügen mit Zigarre im Mund kannte, hatte die damals minderjährigen Mädchen demnach in seiner BBC-Garderobe oder bei seinen zahlreichen, angeblich „wohltätigen“ Besuchen in staatlichen Internaten, in Jugendhaftanstalten, Krankenhäusern und Behindertenheimen begrapscht, zu sexuellen Handlungen gezwungen und vergewaltigt. „Er hat versprochen, dass wir dann in seine Sendung kommen dürfen oder dass er uns zu Partys mit berühmten Stars mitnimmt“, erzählte eines der Mädchen. „Ich habe gedacht, das ist der Preis, den ich dafür zahlen muss.“

Die britische Polizei hat nun eine Sonderkommission eingerichtet – nachdem sie ihre Ermittlungen gegen Savile zu dessen Lebzeiten „aus Mangel an Beweisen“ eingestellt hatte. Nun will sie klären, inwieweit die Institutionen, in denen Savile ungehindert ein- und ausging, ihre Aufsichtspflicht kriminell verletzten. So hatte der Star in einem der Behindertenheime sogar eine eigene Wohnung. Die Schwestern sollen die Kinder dort gewarnt haben, sich schlafend zu stellen, wenn Savile nachts „zu Besuch“ kam.

Adelstitel kann nicht aberkannt werden

Für die BBC, die britische Regierung und das Gesundheitssystem NHS als Träger der Einrichtungen, in denen Savile sich an Schutzbefohlenen verging, ist der Fall noch lange nicht erledigt: Dutzende Opfer wollen sie auf Schadenersatz verklagen. Derweil wird Saviles Name aus dem öffentlichen Leben getilgt: Seine beiden Stiftungen (er hatte insgesamt 40 Mio. Pfund gesammelt und gespendet) werden geschlossen. Die Familie hat längst seinen Grabstein entfernt. Nur der Adelstitel kann ihm posthum nicht mehr genommen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2012)

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