Bei der Arbeit erschossen

(c) EPA (LUIS HINOJOS)
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Der Chefredakteur der mexikanischen Zeitung »Diario de Juárez« über getötete Mitarbeiter und den Umgang mit Drogenkartellen im Bundesstaat Chihuahua.

Die mexikanische Tageszeitung „Diario de Juárez“ wurde vor zwei Jahren für ihre Selbstzensur im Sinne der Drogenkartelle im Land kritisiert. Pedro Torres, stellvertretender Chefredakteur des Blattes, sprach mit der „Presse am Sonntag“ darüber, wie sich seine Journalisten vor Gewaltübergriffen der Drogenmafia schützen und dabei trotzdem weiter kritisch berichten, und wie es um die Pressefreiheit im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua (an der Grenze zu den US-Bundesstaaten New Mexiko und Texas) steht.

Vor zwei Jahren machte Ihre Zeitung „Diario de Juárez“ weltweit Schlagzeilen, nachdem einer Ihrer Fotografen ermordet worden war. Sie boten den Drogenbaronen daraufhin an, Ihnen zu sagen, welche Art von Berichterstattung diese sich wünschen, damit keine Journalisten mehr sterben müssten.

Pedro Torres: Unser Fotograf Luís Carlos Santiago war schon der zweite Todesfall aus unserer Redaktion. Knapp zwei Jahre zuvor, am 13.November 2008, war unser Reporter Armando Rodríguez, der über die Gewalt und den Drogenkrieg berichtete, erschossen worden. Damals hatten wir uns schon in mehreren Leitartikeln an die Regierung gewandt, damit eine Untersuchung über die Umstände des Mordes gestartet würde. Es gab nie eine Reaktion. Nachdem dann auch noch Luís Carlos auf dem Weg zum Mittagessen erschossen worden war, konnten wir die Situation nicht weiter hinnehmen.

Der Leitartikel vom 19. September 2010, an dem Sie mitgearbeitet haben, fragt „Qué quieren de nosotros“ – „Was wollt ihr von uns?“ Es gab Kritik an dem Text, dass er die Drogenkartelle als herrschende Autoritäten im an die USA grenzenden Bundesstaat Chihuahua anerkennt.

Das war eine journalistische Spielart, die einige wohl missverstanden haben, zum Beispiel die Regierung. Wir wollten damit erreichen, dass sich endlich jemand zu den Morden äußert. Wenn nicht einmal die Regierung etwas sagt, wäre es ja theoretisch möglich, dass sie mit den Morden zu tun hätte. Wir tappten da völlig im Dunkeln. Als wir auf diesen Text, den Sie erwähnen, schließlich eine Reaktion erhielten, hieß es nur, wir würden die Staatsgewalt infrage stellen und die Drogenkartelle zum Dialog einladen. Darum ging es uns natürlich nicht. Nur, was würden Sie machen, wenn zwei Journalisten aus Ihrem Haus sterben, während diese Menschen doch für die Öffentlichkeit arbeiten, um dieser gesellschaftlich hochrelevante Information zu präsentieren?

Zyniker würden entgegnen, der Beruf des Journalisten bringe eben Gefahren mit sich.

Das stimmt auch. Aus dem Grund haben wir bis heute nicht aufgehört, über das Thema zu berichten. Unsere Leser wollen wissen, was in Chihuahua vor sich geht.

Aber seit dieser Veröffentlichung hätte doch jederzeit ein Drogenkartell an die Tür klopfen können und genau das einfordern, was Sie implizit angeboten haben: nicht mehr über den Drogenkrieg recherchieren, wenn im Gegenzug niemand mehr sterben müsste.

Bis heute hat uns niemand von einem Kartell kontaktiert. Ich glaube auch, dass die meisten aus diesen Kreisen unseren Text richtig verstanden haben. Noch einmal: Wir wollten damit wachrütteln und niemals irgendein Kartell einladen, mit uns zu verhandeln. Wir berichten weiterhin über das Thema, wenngleich die Umstände, unter denen wir hierzu an Informationen kommen, natürlich sehr schwierige sind. Es ist schon richtig, dass wir seit den Morden nicht mehr zu jeder möglichen Spur eilen. Ganz sicher sind wir etwas zögerlicher und vorsichtiger geworden.

Andere Journalisten in Chihuahua berichten, dass sich seit den Todesfällen unterschiedliche Medien zusammentun und vermeintlich gefährliche Termine lieber gemeinsam wahrnehmen, um sich vor Überfällen zu schützen.

Das stimmt. Es ist zwar schade, wenn Konkurrenzblätter dadurch identische Zitate bekommen, aber so ist es eben. Wir arbeiten in dieser Situation eben nicht so sehr gegen andere Zeitungen, sondern mehr gemeinsam für die Leser. Kooperation ist momentan das Klügste, was wir tun können. Exklusivinterviews müssen wir jetzt ein bisschen als Pressekonferenzen begreifen. Da ist man auch von anderen Journalisten umgeben.

Gibt es weitere Vorsichtsmaßnahmen?

Wir akzeptieren es häufiger, wenn unsere Quellen nicht namentlich genannt werden wollen, weil es sonst noch schwieriger wäre, etwas zu erfahren. Bei riskanten Artikeln unterschreiben wir statt mit dem Namen des Autors mit „staff“. So wollen wir vermeiden, dass ein einziger Kollege womöglich zur Zielscheibe wird. Aber völlig anonym oder mit falschen Namen, wie es derzeit vor allem Onlinemedien machen, unterschreiben wir nichts.

Welche Wirkungen zeigen Ihre Maßnahmen bis heute?

Was die Vorsicht und die Gefahren angeht, ist es zuletzt etwas ruhiger geworden. Ob das daran liegt, dass wir besonders gut gewappnet sind, oder dass die Situation generell etwas friedlicher wird, ist schwer zu sagen. Im Moment scheint es so, als würde sich in journalistischer Hinsicht gerade etwas in Richtung Normalität bewegen. Das kann sich natürlich schnell wieder ändern. Was unseren Leitartikel angeht, glaube ich noch immer, dass wir damals die richtige Entscheidung getroffen haben. Wir haben nicht nur in Mexiko für Aufsehen gesorgt. Am Tag der Veröffentlichung habe ich, ungelogen, schätzungsweise hundert Interviews in der ganzen Welt gegeben. Unsere Leserschaft hat sich dadurch auch nicht reduziert, wir sind weiterhin die größte Zeitung der Region. Unsere Website ist sogar beliebter geworden. Und journalistisch haben vielleicht die Morde ihre Folgen für unsere Arbeit, aber nicht dieser Leitartikel. Wir berichten weiterhin kritisch.

Hat eine Untersuchung begonnen über die Morde an Luís Carlos Santiago und Armando Rodríguez?

Darauf warten wir leider noch immer. Das ist in meinen Augen eine sehr große Enttäuschung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2012)

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