Zeitung machen ganz ohne Redaktion?

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WAZ(c) Dpa Rolf Vennenbernd (Rolf Vennenbernd)
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Die WAZ kündigt eine ganze Redaktion – und füllt die „Westfälische Rundschau“ künftig mit fremdem Inhalt. US-Verlage kaufen computergenerierte Inhalte.

Eine Zeitung ohne Redakteure – wo gibt's denn so was?“ Das war keine Frage. Das war ein Ausdruck des Entsetzens. Helmut Dahlmann hat ihn diese Woche getätigt, nachdem bekannt wurde, dass sich die WAZ-Gruppe die „Westfälische Rundschau“ nicht mehr leisten kann. Oder will. 50 Millionen Euro Verlust seit 2008 vor dem Hintergrund eines dauerhaften Anzeigen- und Auflagenrückgangs war dem Essener Konzern zu viel. Also hat der Medienriese beschlossen, die Redaktion der „WR“ zu schließen – 120 Redakteure verlieren ihren Arbeitsplatz. Und die Zeitung? Die Marke soll erhalten bleiben, das Blatt erscheint weiterhin. Dahlmann – als Landesvorsitzender des Journalistenverbands in Nordrhein Westfalen Lobbyist einer gebeutelten Branche – drückte aus, was sich viele dachten: Wo gibt's denn so was? Die zweite Frage, die sich stellt: Wie soll das gehen? Die WAZ will die lokalen Inhalte der „WR“ künftig extern zukaufen. Journalistische Vielfalt wird zur Makulatur.

Die WAZ treibt damit einen Prozess auf die Spitze, der schon länger läuft: Seit fünf Jahren schon wird der Mantel der „WR“ von der WAZ-Zentralredaktion in Essen zugeliefert – künftig wird die Lokalberichterstattung je nach Region von Schwesterzeitungen („Westfalenpost“) oder Konkurrenten („Ruhr Nachrichten“) zugekauft. Das Blatt wird quasi künstlich ernährt und zu einem einzigen Zweck am Leben erhalten, wie Zeitungsforscher Michael Haller im „Tagesspiegel“ erklärt: „So kann der WAZ-Konzern die Zeitung als Werbeträger, der so kostengünstig wie möglich produziert wird, erhalten.“ Das sei zwar „betriebswirtschaftlich nachvollziehbar“, weil das Blatt mit Stellenstreichungen allein nicht zu retten gewesen wäre – was bleibe, sei aber nur noch ein Hohlkörper. Das befürchtet auch Barbara Hendricks: Die Schatzmeisterin der SPD (die eine Minderheitsbeteiligung an der „WR“ hält und von der WAZ-Entscheidung überrumpelt wurde) hat laut „Süddeutsche Zeitung“ den „Eindruck einer seelenlosen Redaktionsklempnerei“. Wie die Leser reagieren, ist laut Haller „nicht abzusehen“.

Der Computer kriegt keinen Pulitzerpreis

Geld sparen und trotzdem etwas bieten – das ist eine Herausforderung für Zeitungen. In den USA versuchen es manche mit computergenerierten Inhalten. Firmen wie Narrative Science und Automated Insights verwandeln Daten in Texte und beliefern u.a. das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ und die Agentur Bloomberg mit Sport-, Immobilien- und Finanzberichterstattung. Der Computer arbeite umfassender und objektiver als jeder Redakteur, behaupten die beiden Firmen. Vor allem aber: billiger. Ein computergenerierter Sportbericht ist in zwei Sekunden geschrieben, 2500 Zeichen kosten zehn Dollar. Auch wenn Narrative-Science-Mitgründer Kris Hammond in der „New York Times“ vom Gewinn des Pulitzerpreises fantasierte – daraus wird nichts. Journalismus aus dem Computer stößt rasch an seine Grenzen. In computergenerierten Texten wird man z.B. nur Informationen finden, die sich auch in Zahlen ausdrücken lassen, alles andere – etwa die Stimmung im Stadion – kann der Algorithmus nicht verarbeiten. Auch die Neigungsgruppe kreatives Schreiben wird enttäuscht, denn automatisierte Geschichten werden nach wiederkehrenden Mustern gebaut. „Mediale Produkte von der Stange werden beim Publikum wenig reüssieren“, ist Medienwissenschaftler Fritz Hausjell überzeugt: „Die Medienbranche lebte schon bisher am besten, wenn sie journalistische Freiheit verteidigte und individuelle Qualität sowie journalistische Persönlichkeit förderte.“

Die Schweizer „Handelszeitung“ nimmt das Thema mit Humor und hat Roboter Emiglio eingestellt, der mit Videos auf der Website für Unterhaltung sorgt. Chefredakteur Beat Balzli glaubt nicht, dass die Automatisierung in der Print-Branche so rasch steigen wird wie in der Industrieproduktion: „Was diese Redaktion betrifft, kann ich mir den Einsatz im redaktionellen Teil noch nicht vorstellen. Standardisierte Börsenberichte, die sich ja bereits ,maschinell‘ herstellen lassen, sind für uns nicht geeignet. Unsere Artikel müssen fundiert recherchiert und exklusiv sein. Das schafft der Computer – noch – nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2013)

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