Internet statt "L.A. Times"

Internet statt Times
Internet statt Times(c) Tobias Asmuth
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Weil die Lokalberichterstattung weniger wird, wurde in Kalifornien das Internetmagazin "Alhambra Source" gegründet.

Die Redaktionssitzung von „Alhambra Source“ findet heute im Roaster Family Cafe statt. Auf den Tischen stehen Kaffee, Muffins und Toast. Pünktlich um zehn Uhr begrüßt Daniela Gerson ihre Reporter: „Okay, was für Geschichten plant ihr?“ Nasrin will den Kapitän der Football-Mannschaft interviewen, Paul war mit asiatischen Geschäftsleuten aus Alhambra in Las Vegas, es gibt Streit um Buslinien, die eingestellt werden sollen und zwei Schüler aus Alhambra, Einwanderer mit legalem Status, wurden bei einer Klassenfahrt im Mittleren Westen trotzdem verhaftet. „Diese Geschichte passt gut zu uns“, findet Redakteurin Gerson. „Ich habe schon lange zu Einwanderungsthemen recherchiert und das ist ein Experiment: Wie muss Journalismus im Netz aussehen, um über ethnische Grenzen hinweg zu funktionieren?“ Alhambra gehört zum Ballungsraum Los Angeles, hat 83.000 Einwohner und zwei Einwanderergruppen: Erfolgreiche Asiaten, vor allem Chinesen, und beruflich weniger glückliche Latinos. „Es gibt keine sozialen Verwerfungen, aber auch keinen Austausch über die Probleme und Chancen von Alhambra“, meint Gerson.

„In den vergangenen zehn Jahren habe ich Alhambra verschwinden sehen – aus der ,L.A.Times‘“, sagt Michael Parks. Der 68-Jährige ist Herausgeber des Internetmagazins und hat fast sein ganzes Leben für die „L.A.Times“ als Korrespondent in China und Russland gearbeitet. Jetzt ist er Dozent für Journalismus an der University of Southern California. Die Uni hat „Alhambra Source“ vor zwei Jahren ins Leben gerufen und unterstützt das Projekt mit Geld und Ideen. Jede Gemeinde brauche lokale Berichterstattung, fährt Parks fort. Wo es sie nicht gebe, sinke das bürgerliche Engagement.


Weniger Lokalzeitungen. Er fürchtet, dass sich die „L.A.Times“ ganz aus der Region zurückzieht und zur reinen Stadtzeitung schrumpft. Durch Einsparungen haben viele Lokalreporter ihre Jobs verloren. „Zu manchen Pressekonferenzen in Alhambra kommen keine Journalisten mehr, außer unsere Leute“, erzählt er. Eine Entwicklung wie überall in den USA. Mittlerweile gibt es in jeder größeren Stadt lokale Blogs und News-Portale. Nur einige sind profitabel, die meisten beruhen auf Selbstausbeutung. Aber fast alle finden Leser – auch weil immer mehr Zeitungen dicht machen. In den USA gab es 2011 etwa 1200 Lokalzeitungen, 300 weniger als zehn Jahre zuvor.

„Alhambra Source“ kann „L.A.Times“ nicht ersetzen, zu begrenzt ist das Budget von 300.000 Dollar, zu klein das dreiköpfige Redaktionsteam. Doch viele Beiträge haben ihren eigenen Wert: „Die Leute kennen sich unglaublich gut aus in ihrer Stadt und ihrer Community“, sagt Gerson. Ihre jungen Reporter wollen Journalisten werden und kommen aus Alhambra, ihre Eltern aus China, Taiwan, Mexiko, Kolumbien und dem Irak. Außerdem liefern knapp fünfzig Bürger Texte und Bilder. 20.000 bis 30.000 Leser hat die Seite im Monat.

„You ask, we answer“, soll eine neue Rubrik heißen, in der Angestellte der Stadt Leserfragen beantworten. Auch hat sich das Team in die Idee einer Weltkarte verliebt, die interaktiv zeigt, woher die Menschen in Alhambra kommen und wohin sie Verbindungen pflegen. Tatsächlich überwindet das Web-Magazin jeden Tag Grenzen. Viele Informationen stehen in Englisch, Spanisch und Chinesisch auf der Seite – manchmal auch wichtige Artikel. Die Idee ist für das Einwandererland USA neu. Und sehr wichtig, findet Parks, um der Abkapselung ethnischer Gruppen entgegenzuwirken. Auch im vergleichsweise reichen Kalifornien gibt es weniger Aufstiegschancen. Die Einwanderer bilden Ghettos, in denen Englisch keine große Rolle spielt.

Einfluss auf Communitys. Die University of Southern California betreut die Website, wertet sie aus. Nicht allein in Bezug auf Klickzahlen. Man versucht zu messen, wie „Alhambra Source“ das bürgerliche Engagement beeinflusst, um daraus Modelle für einen Journalismus zu entwickeln, der in ethnisch stark gemischten Städten Menschen animiert, über ihre Community hinaus am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wichtig sei gleichmäßige und gleichbleibende Präsenz der verschiedenen Gruppen, meint Parks: „Hier einmal eine Artikelserie, dort eine Werbeaktion – das reicht nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2013)

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