Blogger: "Man muss nicht 24 Stunden online sein"

Blogger muss nicht Stunden
Blogger muss nicht Stunden(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)
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Wie ticken junge Medienkonsumenten? Blogger Tobias Gillen über seinen Zugang zur Tageszeitung, das spärliche Trinkgeld im Netz und seine Sehnsucht nach "Offlinezeiten".

Ich habe meist die Mails gecheckt, die neusten Newsletter überflogen und die Themenlage auf Twitter, Facebook und via RSS-Reader gescannt, noch bevor ich einen Fuß aus dem Bett bewegt habe.“ Ständiger Kontakt mit den Lesern, ständige Erreichbarkeit für die Auftraggeber gehören für Tobias Gillen zum Job. Als freier Journalist ist es für ihn wichtig, immer up to date zu sein. Für ihn ist die vor allem unter jungen Leuten grassierende „Fomo“ („Fear of Missing out“) quasi eine Berufskrankheit: Die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen oder nicht dauernd auf dem neuesten Stand zu sein – das ist in der Medienbranche wichtiger denn je.


Das Hobby zum Beruf gemacht.„Ich liebe meine Arbeit“, sagt er immer wieder. Während andere Jungs davon träumen, später Pilot oder wenigstens Baggerfahrer zu werden, wollte er immer Journalist sein: „Ich habe schon als Kind meine eigenen Zeitungen gemalt. Die Medienlandschaft ist eine unglaublich schnelllebige und interessante Branche – da engagiere ich mich gern, und so habe ich letztlich mein Hobby zum Beruf gemacht.“ Und auch sonst ist der Twen nicht gerade repräsentativ für seine Altersgruppe: Lange Zeit wollte er einfach keine E-Paper lesen. Er habe stets lieber zur Tageszeitung gegriffen: „Ich mag es, mich morgens gemütlich hinzusetzen und die Zeitung durchzublättern.“

Heute bevorzugt er die Newsseiten im Netz und soziale Medien, „da ich das Konzept Tageszeitung für veraltet halte. Das liegt an der Geschwindigkeit: Wenn die Leute die Tageszeitung morgens aufschlagen, sollen sie das Neueste aus aller Welt erfahren. Das ist aber heute kaum mehr möglich. Alles, was mir die Tageszeitung verrät, habe ich zwölf Stunden vorher schon über die sozialen Medien oder über Online-Angebote gescannt. Das weiß ich dann schon.“ Seine Schlussfolgerung: „Je mehr News in einer Zeitung sind, desto überflüssiger ist sie. Je mehr Recherche und Hintergrund, desto spannender.“ Er würde auch dafür bezahlen, sagt er – aber nur pro Artikel: „Ich werde kein Tageszeitungsabo mehr abschließen.“ Auch die Online-Aktivitäten der Zeitungen beäugt er mit Skepsis: „Viele Verlage haben Angst, sich dem Internet voll zu öffnen. Man hat oft das Gefühl, die alten Herren denken sich: Wir kommen nicht darum herum – und dann geht man mit halb garen Versuchen ins Netz. Das ist oft nicht richtig durchdacht – von der Strategie her, was man online und was offline stellt, bis hin zu seltsam geführten Twitterseiten.“

Wie schwer das Geschäft für die Jungen ist, das hat Gillen selbst erfahren: Auf seiner Homepage wirbt er charmant um „Trinkgeld“. Das funktioniert nur „im relativ kleinen Rahmen“: „Nach drei Jahren kann ich für ein Jahr die Kosten für meinen Blog abdecken.“ Leben kann er davon nicht. Der Blog sei auch „eigentlich nur mein privater Spielplatz, auf dem ich mich austoben und Themen bringen kann, die von den Zeitungen nicht genommen werden“.


Journalismus geht auch ohne Verlag. Mit Artikeln im „Kölner Stadtanzeiger“ und auch für Branchendienste wie newsroom.de oder netzpiloten.de sowie durch seine Online-Agentur Gillen Media verdient er seinen Lebensunterhalt. Und während sich andere über die schwierigen Arbeitsbedingungen in der Branche beklagen, sieht Gillen die Vorteile der Digitalisierung: „Ich finde, dass der Berufseinstieg noch nie so einfach war: Wenn ich kein Medium finde, das meine Artikel will oder das mir passt, dann habe ich ein eigenes Medium: Ich kann online publizieren.“

Online heißt für ihn auch, ständig auf dem Laufenden zu sein, ein offenes Ohr für seine Leser zu haben – und wenn möglich mit allen zu kommunizieren, die mit ihm in Kontakt treten. Trotzdem wagte sich Gillen über ein für Digital Natives schwieriges Experiment: Er schaltet ab und gönnt sich „Offlinezeiten“. Dazu hat er sich eine Reihe von Regeln auferlegt, die er auf seiner Homepage auflistet. Eine lautet: „Das Handy wird nicht mehr auf dem Nachttisch liegen, es wird auf dem Schreibtisch bleiben – und das so lange, bis ich in Ruhe gefrühstückt habe.“ Eine andere: „Sobald die Arbeit getan ist, ist der Laptop aus.“

Klingt vernünftig. Aber geht das? „Es funktioniert. Aber es gehört eine ganze Menge Disziplin dazu, die ich erst lernen muss“, gesteht er. „Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich nicht online bin, würde ich etwas verpassen. Jetzt habe ich bemerkt: Es schadet nicht, am Wochenende abzuschalten und am Montag zwanzig Minuten zu investieren, um die Themen nachzulesen. Man muss nicht sieben Tage die Woche 24Stunden am Tag online sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2013)

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