Der „Spiegel“ fragt: Wie sieht die Zeitung 2020 aus?

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Symbolbild(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
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Als ob er Springers Verkauf der Regionaltitel vorausgesehen hat, veröffentlicht der „Spiegel“ ein großes Dossier zur Zukunft der Zeitung – Print und Online. Eines gelingt damit gut: Es wird darüber geredet.

Für das Satiremagazin „Titanic“ ist sie ein gefundenes Fressen, die Frage, die der „Spiegel“ auf seiner Onlineseite stellt: „Brauchen wir noch Tageszeitungen?“ „Natürlich brauchen wir sie!“, rufen die Spaßvögel von der „Titanic“ – und listen auf, wofür: „Die ,Bild‘ zum Erstellen von Erpresserbriefen an Kurzsichtige und Sehbehinderte, die ,FAZ‘ wegen der lustigen Leserbriefe und das ,Handelsblatt‘ zum Anlocken paarungswilliger Weibchen, die auf großspurige Langweiler stehen.“

Das Thema lässt sich leicht verblödeln – oder als selbstreferenzielle Debatte abtun. Dabei bewegt die Diskussion um die Zukunft der Printmedien auch viele andere Branchen, Werbung und Handel etwa. Dem „Spiegel“ kann man zudem nicht vorwerfen, mit seinem Beitrag nicht „neue Kugeln für den neuen Tag“ in das tägliche Flipperspiel der Medien geworfen zu haben. So umschreibt es „Spiegel“-Reporter Cordt Schnibben: Schlechte Zeitungen würden am nächsten Tag nur abbilden, was beim Hin-und-her-Flippern zwischen sozialen Medien, Webseiten und Blogs herausgekommen ist, gute Zeitungen neue Kugeln liefern. Sein achtseitiger Text im aktuellen Heft (der doch nicht so wichtig war, dass er auf dem Titel landete) wurde in der iPad-App um ein Video ergänzt. Auf Spiegelonline wurde ein Debattenforum eingerichtet, und unter dem Hashtag #Tag2020 läuft auf Twitter seit Sonntag eine hitzige, aber überraschend konstruktive Debatte zur Zukunft der Branche. Eine Woche soll das Thema digital weitergezogen werden, am Ende ein Video mit den Vorschlägen für die „Zeitung der Zukunft“ das Dossier abschließen.

46 von 332 Zeitungen bieten Paid Content

Der „Spiegel“ hat offensichtlich länger an diesem als „Multistory“ bezeichneten Dossier gearbeitet – und verdammtes Glück mit dem Timing gehabt. Die Geschichte wirkt nur eine gute Woche, nachdem bekannt wurde, dass sich der Axel-Springer-Verlag von seinen Regionaltiteln trennt (und an die Funke-Gruppe verkauft, der u. a. „Krone“ und „Kurier“ zur Hälfte gehört), wie bestellt. Acht Zeitungsredaktionen hat der „Spiegel“-Reporter besucht, und er berichtet, dass die Chefs von Regionaltiteln wie „Berliner Zeitung“ wissen, es gehe nur noch darum, den Absturz der Auflage zu bremsen, nicht aufzuhalten. Auch die überregionalen Zeitungen verlieren an Auflage.
Umgekehrt sind die Erwartungen an die digitalen Erlösquellen bisher noch nicht so recht erfüllt worden. Wobei sich auch noch vergleichsweise wenig Zeitungen auf neues Paid-Content-Terrain begeben: 46 von 332 deutschen Zeitungen verlangen auf ihren Webseiten Geld für bestimmte Artikel. In den USA sind es 450 von 1380 Zeitungen. Die Zahl der E-Paper, die alle deutschen Zeitungen jeden Tag verkaufen (380.000), ist immerhin doppelt so hoch wie im Vorjahr. Schuld an der Misere seien der digitale Bürger, eine „Mediendiva“, verwöhnt und schnell gelangweilt, die maßgeschneiderte, aber am besten kostenlose Texte will.

Die Medien sind im Umbruch, das zeigen nicht nur die Zahlen, die der „Spiegel“ auflistet (ohne sich selbst zu erwähnen), und die Antworten der Medienmacher. Es brauche mehr Journalisten, die auch programmieren können, glaubt etwa Frank Schirrmacher („FAZ“). „Das Denken, jeder Printredakteur mache Online und umgekehrt, haben wir längst hinter uns gelassen haben“, sagt Stefan Plöchinger (sueddeutsche.de). So probiert jeder vor sich hin. Für Schirrmacher ist die Zeitung in Zeiten von NSA-Skandal und Co. gar „das einzige nicht überwachungsfähige Medium“, da hier kein Dienst scannen könne, welche Texte gelesen werden. Im Netz aber ist der Leser nie allein. awa

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2013)

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