"Washington Post": Das Ende und der Anfang einer Epoche

Jeff Bezos würde hier nicht kaufen. Er liest Zeitungen nur mehr auf dem Kindle.
Jeff Bezos würde hier nicht kaufen. Er liest Zeitungen nur mehr auf dem Kindle.(c) EPA (JIM LO SCALZO)
  • Drucken

Nach acht Jahrzehnten verkauft die legendäre Graham-Familie die "Washington Post". Der neue Eigentümer, Jeff Bezos, schreitet in seinem Feldzug zur digitalen Eroberung aller Lebensbereiche voran.

Man kann den Aufstieg des Internet-Unternehmers Jeffrey P. Bezos zu einem der reichsten Männer der Welt als schrittweisen Einbruch in das amerikanische Familienheim sehen.

Der begann vor 18 Jahren, als Amazon.com online ging, in der Bücherwand im Wohnzimmer, aus der nach und nach die Titel aus dem örtlichen Buchgeschäft oder von einer der großen Handelsketten verschwanden – so lange, bis der neue Lesestoff nicht mehr aus den braunen Amazon-Schachteln ins Haus kam, sondern als unsichtbare Bits und Bytes den Kindle zum Erstrahlen brachten. Danach waren die Küche und der Eiskasten dran, die sich per Mausklick bequem mit Lebensmitteln füllen ließen. Die hilfsbereiten Hausbesetzer von Amazon machten im Schlafzimmer beim TV-Gerät weiter: Filme und Serien in Sekundenschnelle übers Internet bestellen statt zur Videothek ums Eck pilgern oder das einfallslose Programm der großen Fernsehanstalten erdulden.

Eroberung der Haushalte Stück für Stück

Und nun, da Amazon jedes Zimmer erobert hat, ist die Türschwelle dran: Dort, wo amerikanische Familienväter jahrzehntelang frühmorgens die Zeitung aufzuklauben pflegten. Um 250 Millionen Dollar (188 Millionen Euro) kauft Bezos die Zeitung „Washington Post“ samt mehreren kleineren lokalen Blättern und Druckereien von der Eigentümerfamilie Graham. Das ist die größte Übernahme eines traditionellen Zeitungsverlages in der jüngsten Vergangenheit. Sie markiert das Ende einer Ära.

„Journalismus spielt eine wichtige Rolle in einer freien Gesellschaft“: Mit dieser ebenso richtigen wie abgenutzten Floskel versicherte Bezos den rund 2000 Mitarbeitern der „Post“ am Montagabend in einem offenen Brief, dass niemand um seinen Arbeitsplatz oder die Kompromittierung seines journalistischen Ethos fürchten müsse. Bezos bezahlt die Viertelmilliarde aus seinem Privatvermögen; dieses beträgt derzeit laut dem „Forbes“-Magazin mehr als 25 Milliarden Dollar.

Zumal Bezos damit eine der weltweit glanzvollsten Marken der Publizistik erhält. Die Pentagon Papers, der Watergate-Skandal: Wer kennt diese Sternstunden des unbestechlichen, hartnäckigen Aufdeckerjournalismus nicht? Als die Regierung unter Präsident Richard Nixon den Herausgebern der „New York Times“ und der „Washington Post“ schwerste Strafverfolgung androhte, falls sie die Pentagon Papers veröffentlichten, geheime Analysen des Verteidigungsministeriums, denen zufolge der Vietnam-Krieg für Amerika nicht zu gewinnen ist, blieb Katharine Graham standhaft: „Was soll's. Wir drucken“, sagte die legendäre langjährige Herausgeberin der „Post“. Graham hatte binnen weniger Jahre den persönlichen Wandel von der Tochter über die Gattin zur Chefin vollzogen: Ihr Vater, Eugene Meyer, hatte die „Post“ 1933 in einem Insolvenzverfahren um 825.000 Dollar ersteigert; ihr Mann, Philip Graham, hatte das Blatt nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer seriösen Zeitung hochgezogen, ehe ihn Depressionen am 3. August 1963 in den Selbstmord trieben und Katharine vor die Wahl stellten: verkaufen oder selber führen? Sie führte selber – und fand mit Ben Bradlee als Chefredaktuer einen kongenialen Partner. Bradlee darf sich mit seinen Reportern Bob Woodward und Carl Bernstein rühmen, Präsident Richard Nixon 1974 zu Fall gebracht zu haben.

Opfer der digitalen Revolution

Es mutet gespenstisch an, dass die Graham-Familie fast auf den Tag genau 50 Jahre nach Phil Grahams Tod die „Post“ aus ihren Händen gibt. Grahams Sohn Don und ihre Enkelin Katharine Weymouth (die Namensgleichheit täuscht nicht: ihre Tante ist Tina Weymouth von den „Talking Heads“) mussten hilflos mitansehen, wie die einst größte Konkurrentin der „New York Times“ der digitalen Revolution zum Opfer fiel. Eine Sparrunde nach der anderen ließen die „Post“ zu einem besseren Lokalblatt für das Washingtoner Politikeraquarium verkommen. Die Wirtschaftsberichterstattung ist schal, und in der eigentlichen Königsdisziplin – der Beleuchtung von Kongress und Weißem Haus – haben digitale Gegner wie Buzzfeed, „Roll Call“ und vor allem „Politico“ längst die Nase vor der ehrwürdigen „Post“. Dabei mangelt es der Redaktion nicht an Talent für die neue Welt: Max Fisher und Ezra Klein schreiben in ihren Blogs kluge, blitzschnelle Analysen außen- und wirtschaftspolitischer Vorgänge. Geld lässt sich damit nicht verdienen: Bei zuletzt 581 Millionen Dollar Umsatz machte die „Post“ 54 Millionen Verlust.

Wie Jeff Bezos das ändern will, ist offen. Beobachter munkeln, dass ihm eher etwas am Vertriebsnetz der „Post“ gelegen ist; mit diesem ließe sich die kritische „letzte Meile“ zwischen Amazon-Lagerhalle und Kunde besser überwinden. Fraglos beginnt nun eine neue Epoche im amerikanischen Zeitungswesen: die Sulzbergers von der „New York Times“ sind der letzte Familienclan, der noch an einer großen Zeitung festhält.

Auf einen Blick

Die „Washington Post“ wurde 1877 gegründet. 1933 war sie bankrott. Eugene Meyer, zuvor Präsident der US-Notenbank Fed, ersteigerte sie um 825.000 Dollar. Unter seiner Tochter Katharine Graham wurde das Blatt ab 1963 zu einer der besten Zeitungen der Welt; die Enthüllung der Pentagon Papers und des Watergate-Skandals mehrten ihren Ruhm. Die digitale Revolution traf die „Post“ hart: seit 2002 ist die Zahl der Leser von 769.000 auf 472.000 abgestürzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bezos: Der Maschinenstürmer träumt vom ewigen Ruhm
Medien

Bezos: Der Maschinenstürmer träumt vom ewigen Ruhm

Jeffrey P. Bezos hat mit seinem Versandhandelskonzern Amazon binnen weniger als zwei Jahrzehnten das Verlagswesen von den Beinen auf den Kopf gestellt. Papier hält er für ein Auslaufprodukt, von Gewerkschaften hält er wenig, von Denkmälern für die Ewigkeit umso mehr.
USA NEWSPAPERS WASHINGTON POST
Medien

Amazon-Chef Bezos kauft die "Washington Post"

Der Amazon-Chef legt 250 Mio. Dollar für den Verlag auf den Tisch. Reporter der Zeitung hatten in den 70er-Jahren den Watergate-Skandal aufgedeckt.
File photo of Amazon.com Chief Executive Officer Jeff Bezos during a keynote speech at the Re:Invent conference in Las Vegas
International

Jeff Bezos: Amazon-Gründer und Zeitungsbesitzer

Bezos' Führungsstil gilt als eigenwillig. Ins Tagesgeschäft der "Washington Post" will sich der Milliardär aber nicht einmischen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.