Fritz Molden: "Aber dann bin ich größenwahnsinnig geworden"

Im März 2013 gab Fritz Molden der »Presse am Sonntag« in seinem Haus in Alpbach ein letztes großes Interview. Im ersten, bereits publizierten Teil ging es um Moldens Widerstandskampf gegen die Nazis. Doch wir sprachen damals auch über die Zeit nach 1945, als Molden nach einem kurzen Intermezzo als Diplomat zu einem der größten Verleger Europas aufstieg. Von CHRISTIAN ULTSCH

Warum haben Sie die „Presse“ 1965 verkauft? Hat Sie das Zeitungmachen nicht mehr interessiert?

Fritz Molden: Ich habe damals die „Presse“ mit großer Freude geleitet. Mein Vater (Ernst Molden, „Presse“-Chefredakteur von 1946 bis 1953, von 1924 bis 1939 stv. Chefredakteur; Anm.) hat von Geld überhaupt nichts verstanden. Deshalb hat er mich 1950 angefleht, zurückzukommen und als Verlagsdirektor die Finanzgebarung zu übernehmen.

Hat Ihnen das Spaß gemacht?

Die Redaktion hat mich viel mehr interessiert. Gott sei Dank ist es auch finanziell gut gegangen. Aber dann bin ich größenwahnsinnig geworden, habe den „Express“ dazugegründet und den „Bild-Telegraf“ übernommen und noch und noch.

Und was war dann das Problem?

Ich habe die Druckerei gebaut am Donaukanal in Heiligenstadt – dort, wo jetzt die „Krone“ ist – und vier Tageszeitungen gedruckt: „Krone“, „Presse“, „Bild-Telegraf“ und „Express“. Der „Express“ ist dreimal täglich erschienen. Das ging alles eine Zeit lang sehr gut. Und dann habe ich mir gedacht: Wir können noch wachsen. Das Wachsen war aber in dem kleinen Österreich bei Zeitungen begrenzt. Ich habe dann die Lust verloren. Eine Zeitung ist faszinierend, aufregend, aber zwei Tage später kannst du sie einrexen. Daher habe ich im Jahre 1964 meinen Buchverlag gegründet, die Druckerei behalten, alle Tageszeitungen verkauft und auch die Wochenblätter.

Wer hat die „Presse“ damals gekauft?

Ein Kommerzialrat, ein ÖVP-naher Werbemann, sicher mit Einverständnis der ÖVP. Julius Raab (Bundeskanzler 1953–1961, Anm.) hat einmal über mich gesagt: Den Molden, diese Drecksau, zerdruck i wie a Wanzn.

Sie haben sich offenbar nicht von Raab vereinnahmen lassen.

Das hat er mir nicht verziehen. Als der Raab von Leopold Figl die Kanzlerschaft übernahm, sagte er: Es muss Schluss sein mit dem unabhängigen Blattl. Ehrlich, zuerst hat er mir gesagt: Entweder Sie san a Roter oder Sie gehören zu uns.

Was macht man mit so jemandem?

Er war ein mächtiger Bundeskanzler, außer Bruno Kreisky wahrscheinlich der stärkste. Er hat den Figl rausgeschmissen, auch Karl Gruber (Außenminister 1945–1953, Anm.). Ich habe das ja mitbekommen. Denn Gruber war meine Erfindung. Ich war sein Sekretär 1945. Ich habe ihn nach Wien gebracht. Kein Mensch hat gewusst, wer er ist. Ich bin von Partei zu Partei gegangen und habe ihn vorgestellt: Das ist der Karl Gruber, Landeshauptmann von Tirol.

Gruber war ungewöhnlich jung für einen Außenminister.

Ja, er war 36 Jahre alt, Doktor juris, aber auch Techniker. Er kam aus Berlin. Wir waren gemeinsam im Widerstand in Innsbruck. Und da hat er sich sehr bewährt.

Gemeinsam haben Sie die Diplomaten vor den Kopf gestoßen. Ihre diplomatische Karriere war eine kurze?

Das kann man wohl sagen. Ich hätte schon bleiben können, aber ich wollte nicht. Es war sehr aufregend, ich war von September '45 bis Ende '46 mit Gruber im Außenamt. Es war aufregend, spannend, etwas Neues, aber die österreichischen Diplomaten – Hut ab – waren aus einer Welt von vorgestern. Es war zum Teil grotesk. Generalsekretär Wildner hatte schon unter dem Kaiser gedient.

Waren Sie eigentlich gut mit „Krone“-Chef Hans Dichand?

Wir hatten nie ein Problem miteinander. Ich habe ihn ja nach Wien geholt. Er war Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“, der „Kurier“ suchte damals einen Chefredakteur. Denn 1954 haben die Amis den „Kurier“ aufgegeben. Vickerl Polsterer, ein Mühlenbesitzer, und meine Wenigkeit haben den „Kurier“ gekauft. Da brauchten wir einen Chefredakteur. Ich holte Dichand von Graz nach Wien. Dann hat der Alfred Maleta, damals Generalsekretär und neben Raab allmächtiger Mann der ÖVP, gesagt: „Das geht nicht, die ÖVP muss mit einem Drittel am ,Kurier‘ beteiligt werden, mit Vetorecht.“

Verdeckt oder offen?

Ganz offen. Die haben damals den Kanzler gestellt. Darauf habe ich gesagt: „Mit einer Zeitung, die im Besitz politischer Parteien ist, will ich nichts zu tun haben“ und meine Anteile hingeschmissen. Das war sehr blöd. Polsterer hat später die Anteile der Gewerkschaften und der ÖVP aufgekauft. Ich hätte nicht weggehen sollen. Der „Kurier“ war damals ein Eckhaus von einer Zeitung. Dann kam es kurz darauf zum Zeitungskrieg.

Stimmt es, dass Sie Dichand an der „Krone“ beteiligen wollten?

Als Dichand die „Krone“ wieder gründen wollte, hat er mir vorgeschlagen, dass ich mich mit 50 Prozent beteilige. Aber das durfte ich nicht. Denn mein Partner beim „Express“, der Christian Broda, damals noch nicht Justizminister, sondern ein sehr guter, netter, roter Anwalt, den ich hoch schätzte, wollte das nicht. Er hat verlangt, dass ich mich verpflichte, nicht bei anderen Boulevardblättern einzusteigen. Er hatte Angst, dass dann der „Express“ draufgeht. Dichand hat die „Krone“ trotzdem bei uns gedruckt.

Die „Krone“ wäre ein gutes Geschäft für Sie geworden.

Das beste Geschäft in Europa.

Aber vielleicht hätten Sie sich dann nicht mehr so gut verstanden mit Dichand.

Mit dem Dichand konnte man sich schwer nicht verstehen. Er war ein sehr entgegenkommender und vernünftiger Mann. Später ist er so reich geworden, dass er ein bisschen schwieriger wurde. Aber in den frühen Jahren: sympathisch, angenehm. Unausstehlich wurde er nie. Am Schluss war er etwas stur.

Was war Ihr Leitbild beim Zeitungmachen?

Eine Mischung aus der Londoner „Times“, der „Zürcher Zeitung“ mit der Lebendigkeit der „FAZ“. Die großen, wirklich guten Zeitungen sind fernab einer Bindung an eine Partei. Wenn eine Zeitung nicht mehr unabhängig ist, wird sie für die Leser, vor allem für die besten, unglaubwürdig. Der Leser einer Qualitätszeitung muss den Eindruck haben, dass ihm der Redakteur Nachrichten nach bestem Wissen und Gewissen bringt und ihm eine halbwegs wertneutrale Einschätzung bietet. Es kommt nicht darauf an, ob eine Zeitung in dieser oder jener Frage rechts oder links ist. Es kommt darauf an, dass der Ton, in dem die Editorials geschrieben sind, auch für Andersdenkende, für Linke und Rechte, lesbar sind. Mein Herz hängt noch heute an Zeitungen. Sehen Sie: Ich habe fünf Tageszeitungen hier auf dem Tisch liegen.

Wie sind Sie dazu gekommen, Bronner bei der Gründung des „Standard“ zu beraten?

Ich war sehr oft in Amerika, hatte einen Verlag dort. (Molden – New York). Wir waren schon dort sehr befreundet. Oscar Bronner war immer an Zeitungen interessiert. Er ist ja viel jünger als ich, er ist jetzt 70 und ich werde nächstes Jahr 90. Der Ossi und ich waren sehr gut und politisch in unserer neutralen Position verwandt. Wir sind beide weder links noch rechts. Ich habe ihm sehr zugeredet, den „Standard“ zu gründen. Und er hat mich gefragt, ob ich ihm ein paar Ezzes geben kann. Ein paar Jahre lang hatte ich sogar ein Büro im „Standard“.

Stimmt es, dass Sie häufig Blattkritik gemacht haben?

Täglich.

Was sagten damals die „Presse“-Leute dazu, dass Sie die Konkurrenz berieten?

Ich habe die „Presse“ 1965 abgegeben. Da waren fast 25 Jahre dazwischen. Von der „Presse“ hat mich außerdem keiner mehr gefragt, was ich mir denke oder nicht.

Was sagen Sie zur „Presse“ heute?

Sie ist wieder besser geworden, finde ich. „Die Presse“ war ja nie schlecht, aber jetzt hat sie mehr Leben. Eine Zeitung muss eine Grundlinie haben. Es ist ja richtig, liberal und unabhängig zu sein. Aber ich finde, „Die Presse“ ist jetzt toleranter geworden.

Vielen Dank für das Gespräch. Es war ein Vergnügen, mit Ihnen zu reden.

Es war mir auch eine Freude. Wollen Sie nicht noch eine kleine Mehlspeise?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2014)

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