Im "Hotel der tausend Sterne"

"Aya"Reprodukt
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Marguerite Abouets Comic "Aya" ist ein Welterfolg: Sie porträtiert darin "ihr" Afrika, wider die Klischees. Nächste Woche kommt sie mit ihrer Verfilmung nach Wien.

Ihr weltweit gefeierter Comic „Aya“ verdankte sich zwei Bedürfnissen und einem Zufall, hat Autorin Marguerite Abouet erzählt: Der Zufall war, dass 2005 der nicht nur von ihr hochgeschätzte französische Comicstar Joann Sfar vom renommierten Verlag Gallimard engagiert wurde, eine Reihe anspruchsvoller Graphic Novels herauszugeben.

Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Pariser Illustrator Clément Oubrerie, der die farbenfrohen Zeichnungen übernahm, machte sich die bisherige Kinderbuchautorin Abouet an die Produktion ihres ersten Comics und erfüllte sich so zwei Wünsche: zum einen, die Erinnerung an ihre Kindheit an der Elfenbeinküste in den 1970ern zu Papier zu bringen – 1983 war sie als Zwölfjährige mit ihrem Bruder und ihrem Großonkel nach Frankreich gezogen.

Zum anderen war Abouet, wie viele ausgewanderte Afrikaner, unzufrieden mit dem einseitigen Bild ihres Kontinents, das in den Medien dominierte, aber überhaupt nicht den eigenen Erfahrungen entsprach. „Diese Litanei von Kriegen, Hunger, Aids und anderen Desastern“, meinte Abouet 2007, als bereits der dritte Band von „Aya“ erschien. „Ich wollte die andere Seite zeigen und vom modernen Alltag erzählen, der in Afrika genauso existiert.“


Von „Persepolis“ inspiriert.
Zuspruch und Inspiration erhielt Abouet von Marjane Satrapi, deren Comic-Autobiografie „Persepolis“ international Furore gemacht hatte. Wo die Exil-Iranerin Satrapi darin ihren eigenen Weg von Teheran über Wien nach Paris beschrieb, legte Abouet ihr Buch aber breiter an: Autobiografisch sei ihre Arbeit nur in dem Sinne, dass sie die Figuren nach ihren Bekannten und Nachbarn modelliert und die Schauplätze detailgetreu geschildert habe, aber die Geschichten seien Fiktion.

Bei deren Entwicklung geht Abouet eingestandenermaßen rein instinktiv vor: Das sorgt für Fabulierfreude und erzählerische Lockerheit. So ist die episodische und vor allem humoristische Handlung eigentlich Aufhänger zur Erforschung eines ganzen Umfelds – im Original heißt das Werk auch „Aya de Yopougon“ (Youpogon ist ein Stadtteil von Abidjan, dem Regierungssitz das Landes), und die Titelheldin dient eher als Angelpunkt für einen fröhlichen Reigen einander überlappender Geschichten. Die Ära ist jene des wirtschaftlichen Aufschwungs unter der prowestlichen und marktwirtschaftlich orientierten Politik des Präsidenten Félix Houphouët-Boigny, unter dem Côte d'Ivoire zu einem der reichsten und stabilsten Staaten Westafrikas wurde. Das erste Bild von „Aya“ zeigt treffenderweise, wie sich ihre Familie um den Fernseher versammelt, wo die erste Werbekampagne „meines schönen Heimatlandes“ ausgestrahlt wird: Ein Schluck der beliebten Biermarke Solibra gibt darin dem Hauptdarsteller die Kraft, auf seinem Fahrrad Busse zu überholen. „Das Bier der Starken“ sorgt für so viel Begeisterung, dass sich der ganze Clan unter Vorsitz des biertrinkenden Vaters allabendlich zur Wiederholung des Spots versammelt – nur die 19-jährige Aya blickt erheiternd verdrießlich, „fassungslos darüber, dass man ein Bier als Vitamin verkaufen kann“. Als Intelligenzbestie der Familie fühlt sie sich des Öfteren gestraft.


Eine neue Unabhängigkeit.
Das etabliert mit Komik sowohl die anstehenden Charakterkonfrontationen als auch den sozialen Hintergrund: eine sanfte Kollision von Tradition und Moderne – die Papas gefallen sich noch in der Rolle des Paschas und wollen nach alter Sitte vor allem ihre Töchter schnell verheiraten. Ayas Vater schwebt ihre Hochzeit mit dem Sohn seines Chefs, dem Brauereibesitzer, vor – aber nicht nur ist dessen Bub ein verzogener Versager, vor allem ist Aya Repräsentantin einer neuen Unabhängigkeit: Sie will keinen Mann, sondern Medizin studieren.

Parallel prägt eine neue Jugendkultur das Nachtleben mit Tanzpartys, während die verlassenen Marktstände als „Hotel der tausend Sterne“ für unbeobachtete Rendezvous genutzt werden – mangels Beleuchtung kommt es öfter zu Verwechslungen, und bei aller progressiven Tendenz setzt Autorin Abouet nicht auf Verklärung.

Der erste Band der Comics kulminiert mit einer ungewollten Schwangerschaft von Ayas bester Freundin: Zwar reden die Mädchen untereinander frei über Männer und Beziehungen, aber mit einer aufgeklärten Gesellschaft hat man es nicht zu tun – Sex ist noch immer das Vorrecht des Patriarchats. Bei aller Ambivalenz findet Abouet aber eine superbe Schlusspointe: „Aya“ versteht sich als Entertainment für alle Altersgruppen und nicht als Traktat. Spürbar ist auch, dass die Comics eine Befreiung für die Autorin waren: Bei ihren Kinderbüchern litt sie unter der Zielgruppenzensur von Verlagsseite. Längst sitzt sie in der zweiten Karriere fest im Sattel: Dem Erfolg von „Aya“ – die deutschen Einzelhefte sind vergriffen, bei Reprodukt erscheint dieser Tage eine Neuauflage im Sammelband – folgten weitere Comics, und eben hat sie wieder gemeinsam mit ihrem Gatten aus den ersten beiden „Aya“-Episoden den äußerst werktreuen Animationsfilm „Aya de Yopougon“ gemacht, den sie nächstes Wochenende beim Festival Tricky Women in Wien persönlich vorstellen wird.

Steckbrief

Marguerite Abouet
wurde 1971 in Abidjanin Côte d'Ivoire geboren, mit zwölf Jahren ging sie nach Frankreich, wo sie in einer Rechtsanwaltskanzlei arbeitete und Kinderbücher schrieb. Mit „Aya“ wechselte sie höchst erfolgreich zu Comics, mit ihrem Ehemann Clément Oubrerieals Zeichner.

Comic-Neuauflage
„Aya“ erscheint dieser Tage als Sammelband bei Reprodukt (360Seiten, 39 Euro).

Tricky-Women-Premiere

Der Animationsfilm „Aya de Yopougon“ wird von Autorin und Regisseurin Marguerite Abouet persönlich in Wien vorgestellt, beim Festival Tricky Women für Animationsfilme von Frauen, vom 12. bis 16.März im Wiener Haydn-Kino.

Termine: Freitag, 14.3., 17.45h, und Sa, 15.3., 19h im Haydn. Mehr Infos und Programm des Festivals: www.trickywomen.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2014)

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