Tag der Pressefreiheit: Mit blutroter Tinte

(c) AP (Valentina Petrova)
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Alle Welt blickt auf das böse China, während internationale Organisationen warnen: Auch in den Ex-Sowjetstaaten ist die Pressefreiheit bedroht.

Zirka 7500 Kilometer, neuneinhalb Flugstunden von Wien entfernt: Da liegt Peking, Hauptstadt Chinas, des „weltweit größten Journalistengefängnisses“ – so bezeichnet der Zeitungsweltverband WAN die Volksrepublik anlässlich des Tages der Pressefreiheit diesen Samstag. Für ihre 1,3Milliarden Einwohner existieren zwar 2000 Zeitungen und 650 Rundfunksender. „Beliefert“ werden sie aber allesamt von der Presseagentur Xinhua, die der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei unterstellt ist. Die Zeitverschiebung nach Peking beträgt sieben Stunden.

Unterdessen in Europa, vor unserer Nase: Die Republik Österreich wurde 2007 vier Mal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, die Freiheit der Medien gravierend eingeschränkt zu haben. In der Slowakei wurde eben ein neues Mediengesetz verabschiedet, mit Hilfe dessen die Regierung in Pressburg unerwünschte Berichterstattung widerrufen kann. In Slowenien klagen Journalisten über Druck durch die Politik. In Italien kontrolliert Premier Silvio Berlusconi Weiten der Medienlandschaft. In Deutschland erwägt der „Spiegel“ eine Klage gegen den Bundesnachrichtendienst, weil dieser monatelang den E-Mail-Verkehr einer Journalistin bespitzelte. Und: Das deutsche Gesundheitsministerium hat angekündigt, Interviews künftig nur noch nach einem „Check“ des anfragenden Journalisten zu vergeben: „Wenn wir dann in der Pressestelle alle der Auffassung sind, dass die Journalisten vertrauenswürdig sind, bekommen sie ihr Interview“, sagt der Ministeriumssprecher dem deutschen Branchenmagazin „Message“.

Um 244Prozent mehr tote Journalisten

Freilich sind all diese Vorgänge weniger bedrohlich als jene in China, wo das Regime unliebsame Berichterstattung mit Gefängnis, Zwangsarbeit, Folter bestraft. Österreichs Zeitungsverband VÖZ veröffentlichte anlässlich der Mediensituation im Olympia-Gastgeberland ein Sujet mit einer Feder, aus der blutrote Tinte tropft. Makaber genug?

Nein: Die Anzahl der 2007 weltweit getöteten Journalisten und Medienassistenten (Kameraleute etc.), die „Reporter ohne Grenzen“ nun vorlegte, ist innerhalb der vergangenen fünf Jahre um 244Prozent (auf 107 Personen) angestiegen. Das Negativ-Ranking: Im Irak starben letztes Jahr 47 Reporter, in Somalia acht, sechs in Pakistan.

Angesichts dieser Todesfälle: Sind die europäischen Ereignisse nur peanuts? „Sind sie nicht, obwohl wir die Situation der Pressefreiheit in der EU nicht mit den gewalttätigen, repressiven Verstößen anderswo vergleichen können“, sagt Michael Kudlak, stellvertretender Chef des International Press Instituts. Auch er ist der Meinung, dass der Rückschlag der exkommunistischen Staaten der relativ größte ist – „größer als der in Asien, Afrika oder Südamerika“. In Slowenien und der Slowakei seien viele Journalisten zur Selbstzensur gezwungen.

Auch Franz C. Bauer, Vorsitzender der Journalistengewerkschaft, mahnt Europa, auf seine Pressefreiheit achtzugeben: Er fordert etwa die Stärkung des Redaktionsgeheimnisses. Gleichzeitig warnt seine Gewerkschaft vor einem Missbrauch der Pressefreiheit – „Unsere Freiheit endet bei den Rechten der Wehrlosen“, zieht Bauer eine Trennlinie. „Die Berichterstattung im Fall Kampusch und im Amstettener Inzestfall hat die Grenzen des guten Geschmacks wie die der Pressefreiheit überschritten.“ Weitere Indizien belegen, dass das Berufsethos einzelner Journalisten sinkt: Ein österreichisches Boulevardmedium soll Personen, die eine Interviewanfrage ablehnten, erpresst haben – ein fiktives Interview werde abgedruckt, willige man nicht doch zum Gespräch ein.

Musterhaft: Skandinavien, Island, Benelux

International sei 2007 in Sachen Pressefreiheit überhaupt „ein Jahr des Verfalls“ gewesen: Unter diesem Titel veröffentlichte die amerikanische NGO Freehouse Media am Dienstag ihren seit 1980 erscheinenden Jahresbericht. Dieser enthält auch ein Ranking: Island, die skandinavischen und Benelux-Länder führen es positiv an. Österreich liegt – ex aequo mit Ungarn – auf Platz 35, Deutschland auf Rang 16. Die EU-Schlusslichter sind Rumänien (Platz 94), Bulgarien (76) und – Italien (65). Silvio Berlusconis Mediaset gehören drei bedeutende Privatsender, in früheren Amtszeiten nahm er auch Einfluss auf die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen RAI. Das ist im Land der mittel- und westeuropäischen Fernsehmeister bedeutend, in dem ein Erwachsener durchschnittlich 249Minuten pro Tag fernsieht (Österreich: 163 Min.).

Laut Freehouse Media seien „besorgniserregende Trends“ vor allem in der Ex-Sowjetunion (Ausnahme: Baltikum) zu beobachten. Beklagt werden „unerbittliche Angriffe auf unabhängige Medien – sowohl in autoritären Staaten als auch in Ländern mit relativ offenem Medienumfeld“. Bloß 18Prozent unserer östlichen Nachbarn haben Zugang zu freien Medien. Den größten Abstieg machten nach Einschätzung der NGO Aserbaidschan, Weißrussland – und Russland, das vor allem Vorbildwirkung für die Region habe: Dort wurden etwa Journalisten in die Psychiatrie eingewiesen, nachdem sie lokale Autoritäten kritisiert hatten.

IN RÄNGEN: Pressefreiheit

Der internationale Tag der Pressefreiheit wird seit 1994 am 3.Mai begangen. Initiiert haben ihn die Unesco und die Organisation „Reporter ohne Grenzen“. Zu diesem Anlass werden jährlich diverse Rankings erstellt:

Die größten Feinde der Pressefreiheit (Herausgeber: Reporter ohne Grenzen):u.a. Hu Jintao (China), Wladimir Putin (Russland), König Abdullah (Saudi-Arabien), Mahmud Ahmadinejad (Iran).

Weltweites Pressefreiheitsranking (Hrsg.: Freedom House): Finnland, Island (Platz 1), Dänemark, Norwegen (3), Belgien, Schweden (5) – Andorra, Niederlande, Neuseeland, Schweiz (8) – Deutschland (16) – USA (21) – Tschechien (25) – Österreich (35) – Kuba, Eritrea, Libyen (190), Turkmenistan (193), Burma (194), Nordkorea (195).

Unaufgeklärte Morde an Journalisten (Hrsg.: Komitee zum Schutz von Journalisten): Irak (79 Fälle), Philippinen (24), Kolumbien (20), Russland (14).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2008)

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