"Petite Curie" geht leer aus

Clara Immerwahr
Clara Immerwahr(c) ORF (Petro Domenigg)
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Chemikerin Clara Immerwahr blieb vor 100 Jahren die Wissenschaftskarriere verwehrt. Dass ihr Mann Fritz Haber Giftgas miterfand, ließ sie zerbrechen.

Am Anfang bestaunten sie das „Gewitter im Glas“. Im Labor von Clara Immerwahrs Vater kamen sich die wissbegierige Clara und der nur wenige Jahre ältere Fritz Haber das erste Mal näher, während sich in den Eprouvetten, die sie mit Alkohol, Schwefelsäure und Kaliumpermanganat füllten, kleine rot-violette Blitze entluden. Ihre Begeisterung für die Chemie brachte sie zusammen, doch die Ehe musste noch gut zehn Jahre warten. Clara Immerwahr wollte zuerst fertig studieren, schließlich war es gar nicht so einfach gewesen, Ende des 19.Jahrhunderts als Hörerin der physikalischen Chemie an der Universität Breslau angenommen zu werden. Im Jahr 1900 konnte sie dort als erste Frau summa cum laude promovieren. Ein Jahr später wurden Clara und Fritz getraut.


Gift in der Luft. Noch sieht es da so aus, als wären die beiden die deutsche Kopie von Pierre und Marie Curie. Ein modernes, gleichberechtigtes Forscherpaar, das ein Ziel verfolgt: Die Synthese von Wasserstoff und Stickstoff  entwickeln, um so künstlichen Dünger herzustellen und landwirtschaftliche Schäden und damit den Hunger in der Welt zu bekämpfen. „Brot aus Luft“ nannten sie ihren Traum, doch stattdessen konzentrierte sich Fritz Haber später auf „Gift in der Luft“. Er arbeitete eng mit dem Militär zusammen und war maßgeblich an der Entwicklung von Giftgas beteiligt. Dass seiner Frau Clara nach dem Studium und der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Hermann der Zugang zur Wissenschaft verwehrt wurde, störte Fritz nicht. Zumindest unternahm er nichts, um etwas an der Haltung seiner Kollegen zu ändern, die stolz sagten: „Ich halte nichts von geistigen Amazonen und Frauen mit Forscherdrang.“

Fast genau 100 Jahre nach Clara Immerwahrs Tod erzählt nun ein gleichnamiger TV-Film im Rahmen des 1914-Schwerpunkts die Liebes- und Leidensgeschichte dieser Frau. Katharina Schüttler ist die Darstellung der Chemikerin gelungen. Ähnlich wie ihrem Kollegen Maximilian Brückner, der ihren kahlköpfigen Ehemann Fritz spielt, gibt sie zu, dass sie die Hauptfigur „wie die meisten Menschen“ nicht kannte. Schnell fand sie durch einige Biografien und Zeugnisse einen Zugang zu ihr, ließ sich von einem Chemieprofessor in Berlin einen Crashkurs in Chemie geben, „den ich in meiner gesamten Schullaufbahn nicht bekam“, und las begeistert „Die chemischen Briefe“ von Justus von Liebig, eine leicht lesbare Chemiefibel aus der Zeit, „in der die Chemie noch sehr nah an der Landwirtschaft war“.

Der Film erzählt nicht nur von einer Frau, der der Berufszugang verwehrt wurde, sondern auch von einer engen Vater-Tochter-Beziehung. Clara wollte, so glaubt Katharina Schüttler, das Werk ihres Vaters Philipp Immerwahr (gespielt von August Zirner) fortführen. Umgekehrt glaubt sie, dass Fritz Haber vielleicht auch die fehlende Mutter so hart gemacht hat. Irgendwann nannte er seine Frau nur mehr abschätzig „Petite Curie“. Der Film hält sich konsequent an die Fakten, frei erfunden ist nur ein Wiener Chemikerkollege, gespielt von Philipp Hochmair, der sich in Clara verliebt. Ein bisschen Romanze muss offenbar sein.

Mit einer Täuschung beginnt der Film: Clara Immerwahr sitzt am Steuer und chauffiert ihren Mann in das Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin, wo er Direktor war. „Wie fortschrittlich“, denkt der Zuseher, der später eines Besseren belehrt wird. Beim Verlassen des Hauses sagt Clara: „Warte, ich fahr dich.“ Ihr Mann lehnt das empört ab, worauf sie kontert: „Ist es dir peinlich, von einer Frau chauffiert zu werden?“ Clara Immerwahr nannte die Kampfgaserfindung ihres Mannes später „eine Perversion der Wissenschaft“ – und erschoss sich am 2. Mai 1915 mit seiner Dienstwaffe. Fritz Haber erhielt vier Jahre später den Nobelpreis.

„Clara Immerwahr“, Mittwoch, 28. Mai, 20.15 Uhr, ORF2 und ARD.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2014)

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