Zehn Jahre Haft: "Ägypten wollte mich ruhigstellen"

Journalistin Rena Netjes bei der Ankunft auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol am 4. Februar.
Journalistin Rena Netjes bei der Ankunft auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol am 4. Februar. EPA
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Weil sie mit einem al-Jazeera-Journalisten Tee trank, wurde die Journalistin Rena Netjes in Abwesenheit verurteilt.

Die schlimmsten Nächte ihres Lebens seien das gewesen, erzählt Rena Netjes. Ende Jänner fand sie per Zufall heraus, dass sie und 19 weitere Personen verdächtigt wurden, einer Terrorzelle anzugehören. Vier Tage lang war nicht klar, ob sie das Land verlassen dürfe. In einer entlegenen Wohnung wurde sie versteckt – die Ausreise in ihre Heimat Holland glückte am 4.Februar.

Damals stand Rena Netjes vor den Trümmern ihrer Existenz. Sie hatte mehr mehr als 25 Jahre immer wieder längere Zeit in Ägypten und der Region verbracht. Seit vier Jahren lebte sie permanent in Kairo, unterrichtete hauptberuflich Arabisch und schrieb für die holländische Zeitung „Het Parool“. Und plötzlich musste sie ihr Appartement in der Kairoer Innenstadt innerhalb weniger Stunden verlassen, nur die notwendigsten Dinge kamen mit.

Begonnen hatte dieser mysteriöse Fall am Nachmittag des 13. Dezember. Da traf Rena Netjes den kritischen al-Jazeera-Journalisten Mohammed Fahmy in der Lobby des Hotels Marriott. Er bat sie in sein Büro in einem der oberen Stockwerke des Hotels, was die Sicherheitsleute im Marriott nervös machte. Sie verlangten nach einer Kopie ihres Passes. Wenige Tage später, über Weihnachten auf Heimatbesuch in Holland, erfuhr Netjes, dass Fahmy und einige andere Personen – Mitarbeiter von al-Jazeera, aber auch Nichtjournalisten – verhaftet worden waren. In den Augen des Gerichts machte sich der Sender zum Unterstützer des Terrorismus, weil dort über die Muslimbrüder berichtet wurde.


Verwirrspiel. Erst Wochen später erfuhr sie, dass diese Verhaftungen auch mit ihr zu tun hatten. Ein britischer Kollege veröffentlichte via Twitter ein Schreiben des Gerichts, aus dem hervorging, dass auch ausländische Personen verdächtigt wurden, mit Fahmy eine Terrorzelle der Muslimbrüder zu bilden, darunter eine niederländische Frau. „Kurz darauf erhielt ich ein E-Mail von der niederländischen Botschaft“, erzählt Netjes. „Darin stand: ,Rena, komm bitte so schnell wie möglich zu uns.‘ Da wusste ich, dass ich die Frau war, die gesucht wurde.“

Doch Netjes hatte großes Glück. Ägyptens Polizei hatte zwar eine Kopie ihres Passes, doch ihr Name wurde in der Anklage falsch geschrieben, weshalb ihr der zuständige Staatsanwalt die Ausreise gewährte. Andere Journalisten, wie der Ex-BBC-Korrespondent Peter Greste, hatten weniger Glück. Er sitzt seit Ende Dezember in Kairo in Haft. Seither sind 200 Tage vergangen. Aus Solidarität zu ihm und den al-Jazeera-Journalisten protestierten Mitarbeiter von CNN, BBC und al-Jazeera English Mitte Juli in ihren Redaktionen und posteten Fotos mit verklebtem Mund und dem Hashtag #FreeAJStaff auf Twitter und Facebook.

Rena Netjes wurde indes Ende Juni in Kairo in ihrer Abwesenheit zu zehn Jahren Haft verurteilt. Vom ersten Schock hat sie sich erholt. Derzeit tourt sie durch diverse Brüsseler Institutionen und erzählt von ihrem Fall. An eine Begnadigung dank internationalen Drucks auf die ägyptischen Behörden glaubt sie allerdings nicht. Was sie am meisten aus ihrer Wahlheimat vermisst? „Das milde Klima“ und ihre engsten Freunde.

Auch wenn sie ahnt, dass sie bis auf Weiteres und vielleicht nie wieder nach Ägypten und in die Region reisen wird, ist sie heute deutlich zuversichtlicher als kurz nach ihrer Rückkehr. Damals dachte sie, sie würde ihren Job nicht weitermachen können. „Das Paradoxe ist, Ägypten wollte mich ruhigstellen, heute spreche ich aber mehr über das Land als je zuvor.“ Sie tritt in Talkshows auf, schreibt in verschiedenen Zeitungen und will ein Buch über ihre Geschichte schreiben. Ägypten leide an Staatsparanoia, sagt sie: „Unschuldige werden zu Muslimbrüdern erklärt, und ausländische Journalisten als Agenten bezeichnet, die die Pläne der Muslimbrüder durchführen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2014)

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