"Stern": Schock am Baumwall

Dominik Wichmann
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Die deutsche Medienbranche rätselt über den plötzlichen Abgang von Dominik Wichmann als "Stern"-Chefredakteur.

Souverän, da sind sich alle Beobachter einig. Ausgesprochen souverän habe Dominik Wichmann auf das reagiert, was sich am Donnerstag in Hamburg abgespielt hat. Sehr zeitig ging an diesem Tag eine Vorabmeldung des deutschen Branchenblattes „Horizont“ hinaus, in der es hieß, „Stern“-Chefredakteur Dominik Wichmann stünde vor seiner Absetzung. Der Angesprochene hatte diese Meldung, das beteuern einige aus seinem engsten Umfeld, noch nicht einmal registriert, als ihn ein Redakteur per Telefon mit der Meldung konfrontierte. Von seiner geplanten Absetzung hatte Wichmann bis dahin nichts gehört.

Kurz nach 14 Uhr schrieb er dann auf Facebook: „Liebe Leser und Kollegen, das passende neue Produkt aus der Reihe ,Stern Extra‘. Man weiß ja nie, was so kommt im Leben.“ Dazu postete er das Titelbild eines „Stern Extra“ zum Thema: „Träume Leben . . . weil Arbeit nicht alles ist“. Zwei Stunden später verschickte die Presseabteilung des Verlages Gruner + Jahr die offizielle Bestätigung, dass Wichmann den „Stern“ verlassen und der bisherige „Gala“-Chefredakteur, Christian Krug, mit 1. Oktober sein Nachfolger werde. Herausgeber Andreas Petzold (bis 2013 mit Thomas Osterkorn Chefredakteur) übernimmt die interimistische Leitung.

Redaktionsversammlung. Am Hamburger Baumwall, dort wo Gruner + Jahr residiert, schlug die Nachricht am Donnerstag ein wie eine Bombe. Ein solcher Chefredakteurswechsel im wichtigsten Medium des Hauses lässt keine Abteilung kalt. Von der „Neon“ bis zur „Geo“- und „Brigitte“-Redaktion – überall herrschte Unruhe. Am meisten natürlich in der „Stern“-Redaktion, die unter Schock stand. Auch wenn längst nicht alle Redaktionsmitglieder Fans von Dominik Wichmann waren, hielt so gut wie jeder anerkennend fest, wie viel Zeit, Energie und Präsenz der Chef in den „Stern“ steckte. In einer Redaktionsversammlung konnten die verdutzten „Stern“-Mitarbeiter Fragen an die drei Vorstände Julia Jäkel, Oliver Radtke und Stephan Schäfer stellen. Doch richtig befriedigende Antworten erhielten sie nicht.

Wichmann kam 2011 vom Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ als stellvertretender Chefredakteur zum „Stern“ und rückte im Mai 2013 in die erste Reihe auf. Zu seiner Stellvertreterin machte er die Wienerin Anita Zielina, die er vom „Standard“ abwarb. Wichmann sortierte das Blatt neu und hatte Pläne für eine neue Online-Strategie. Ausgerechnet das aktuelle Heft, das am Donnerstag erscheint, präsentierte sich sanft verändert: Die Rubrik „Diese Woche“ setzt noch stärker auf Kommentare, der hintere Teil des Heftes konzentriert sich unter dem Titel „Sein & Haben“ noch stärker auf die Freizeit. Auch die Optik wurde verändert. Im Editorial schrieb Wichmann über die Arbeit an der Titelgeschichte zum „Albtraum Autobahn“ und erwähnte die Ordnungshüter von der Straße, die „sich wünschen, dass ihre Arbeit ernst genommen wird“. Das sei „wie im ,Stern‘“, schrieb er knapp und vielleicht doch mit einer leisen Vorahnung?

Nun rätselt die Branche, was wirklich hinter dem plötzlichen Abgang steckt. Die sinkende Auflage macht dem von Journalismus-Urgestein Henri Nannen gegründeten Blatt wie so vielen anderen schon länger zu schaffen. In der Blütezeit druckte das Magazin 1,8 Millionen Stück pro Woche. Heute sind es 750.000. Doch zuletzt stiegen die Abo-Zahlen wieder etwas. Auch die zu soften Titel werden gerne genannt. Als wahren Grund vermuten viele, dass der Verlag an der recht großen Redaktion von 190 Print- und 40 Online-Journalisten sparen möchte und Wichmann da vielleicht nicht so mitwollte. Der neue Chefredakteur, Christian Krug, kommt von der „Gala“, was viele zunächst reflexartig die Nase rümpfen lässt: Ist das nach dem Qualitätsmann Wichmann ein Bekenntnis zu mehr Boulevard? Doch Krug erntet auch Lob. Er sei ein Netzwerker und „Macher“, kenne den „Stern“ als ehemaligr München-Korrespondent und mehrfacher Ressortleiter sehr gut und habe Erfahrung als Chef u. a. der Zeitschrift „Max“ und eben seit 2012 der „Gala“.

Spitze Zungen behaupten, die rasche Absetzung des „Stern“-Chefs sei ganz normal. Nach Henri Nannens 32-jähriger Ära blieb von 1981 bis 1999 kaum ein Chefredakteur länger als zwei Jahre. Darunter auch der Österreicher Michael Maier, der schon nach sechs Monaten gehen musste. Mit gequältem Lächeln reagieren „Stern“-Mitarbeiter auf diese Parallele aus der Geschichte. Man habe eigentlich gehofft, dass man nicht wieder an diese Tradition der Kurzzeitchefs anknüpfen werde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2014)

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