Stefan Niggemeier: Deutscher Watchdog kommt nach Wien

(c) Frank Suffert
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Stefan Niggemeier ist Deutschlands strengster Medienkritiker und einer der Krautreporter. Am Dienstag diskutiert er mit Arianna Huffington in Wien. Ein Interview.

2007 wurde die Online-Nachrichtenseite Huffington Post, kurz Huffpo, gegründet, seit einem Jahr gibt es auch eine deutsche Ausgabe. Macht die Huffpo noch Journalismus oder reine Unterhaltung?

Stefan Niggemeier: Es ist natürlich auch eine Form von Journalismus, aber eine ganz spezielle. Die deutsche Huffpo konzentriert sich darauf, Inhalte von anderen Plattformen zu sammeln und lauter zu verbreiten. Oft auch mit Überschriften, die noch nicht verraten, worum es geht. Ich entdecke da wenig eigene Recherche und eigene Gedanken. Es geht darum, Aufmerksamkeit und damit Klicks zu maximieren, nicht den Erkenntniswert für den Leser.

Nun startet auch eine deutsche Ausgabe der Listenseite Buzzfeed. Ist dafür neben der deutschen Huffpo noch Platz?

Ach, Platz gibt es im Netz für alles– man muss es schaffen, ein bestimmtes Bedürfnis einer bestimmten Zahl von Nutzern zu befriedigen. Das sieht man auch an Angeboten wie der Webseite Heftig.co. Dort werden Leser ganz emotional eingefangen, mit reißerischen Titeln (Anm.: z.B.: „Diese Frau sieht, dass jemand Müll aus dem Auto wirft. Ihre Reaktion ist grandios.“), die darauf abzielen, dass die Geschichte geteilt wird– und wenn man draufklickt, kommt meist nur ziemlich altes YouTube-Videomaterial zum Vorschein.

Was werden Sie Arianna Huffington, die Gründerin der Webseite, in Wien fragen?

Die Rollen sind klar verteilt. Sie hält die Keynote, ich bin der Kritiker danach. In den USA und in Großbritannien ist die Huffpo ein Medium, das auch mit eigenen Recherchen und Meinungsbeiträgen eine publizistische Wirkung entfaltet. Das sehe ich bei der deutschen Huffpo nicht. Und ich glaube auch nicht, dass sie da hinwill.

Haben es neue, Internet-only-Medien wie die Huffpo leichter, im Web erfolgreich zu sein, als große Medienhäuser?

Auf der einen Seite ja, weil die neuen Medien radikal anders denken können. Sie werfen klassische Ressorts oder Relevanzkriterien über Bord. Aber klassische Medien haben immer noch den Ressourcenvorteil mit einem Netz an Auslandskorrespondenten und ihrem Zugriff auf viel Kompetenz. Ich glaube nicht, dass dieser Vorteil nichts mehr wert ist. Aber die Transformationsprozesse sind kompliziert. Die Diskussion um „Spiegel“ und Spiegel Online entsteht, weil beide erfolgreich sind. Es ist offensichtlich schwierig, die beiden so zusammenzuführen, dass sie für einen neuen Markt und ein neues Publikumsverhalten richtig aufgestellt sind. Ein neues Medium hat es da natürlich leichter, weil es nicht gewachsene Strukturen von 50 Jahren oder mehr mit sich schleppt.

Streit und Personalwechsel gibt es nicht nur beim „Spiegel“, sondern auch bei „Stern“ und „Focus“. Was bedeutet das?

Daran sieht man, wie dramatisch sich das Nutzungsverhalten gerade im Magazinmarkt ändert. Diese Marken, die über viele Jahrzehnte gewusst haben, wer sie sind, was sie ihren Lesern bieten wollen, sind verunsichert. Im Kern sind alle auf der Suche nach einer neuen Identität in dieser veränderten Welt. Wenn jede Sekunde Nachrichten verbreitet werden, was bedeutet das für ein wöchentliches, gedrucktes Nachrichtenmagazin? Wenn es so viel Zerstreuung im Netz gibt, was heißt das für eine bunte Wundertüte wie den „Stern“?

Sie selbst sind Teil eines neuen Online-Journalismusportals namens Krautreporter. Bislang waren 16.000 Abonnenten bereit, 60Euro für ein Jahresabo zu zahlen – noch bevor das Projekt gestartet ist. Wann wird es die ersten Geschichten zu lesen geben?

Die Technik ist so gut wie fertig. In den kommenden Tagen wird es eine Betaphase für die Mitglieder geben. Der richtige Start ist Anfang Oktober.

Sie haben Ihren eigenen Blog, schreiben regelmäßig für die „FAZ“. Wie werden sich Ihre Krautreporter-Texte von den Texten für die anderen Kanäle unterscheiden?

Von den Texten in der „FAZ“ werden sie sich schon dadurch unterscheiden, dass sie Online sind und für Online gemacht sind. Die Idee bei Krautreporter ist, die Möglichkeiten von Online, mit Bild, Text, Ton auszuschöpfen.

Das könnten Sie auf Ihrem Blog auch tun.

Aber bei Krautreporter werde ich dafür bezahlt. Einen Blogbeitrag schreibe ich, wenn ich Lust habe, im Zweifel ohne Rücksicht darauf, ob es die Masse der Leser interessiert. Die Haltung wird eine andere, wenn man weiß, dass es da Leser gibt, die dafür bezahlen. Wir wollen kein Meinungsmedium sein, sondern Erklärstücke und Reportagen anbieten. Recherche kostet aber, deshalb funktioniert das nur mit einer Bezahlung.

Es gab auch Kritik an Krautreporter, weil die Website zu lieblos gestaltet, das Team zu wenig divers war. Inwiefern wurde auf diese Kritik eingegangen?

Wir wurden extrem sensibilisiert, was die Zusammenstellung des Teams betrifft. Wenn wir künftig neue Mitarbeiter aufnehmen, werden das sicher nicht nur Männer sein. Natürlich hat auch unser Ansatz polarisiert, dass wir gesagt haben: Wir wollen es besser machen. Daran werden wir nun auch gemessen.

Sie selbst betreiben neben dem Bildblog einen seit Jahren eigenen Medienwatchblog. Welche Entwicklungen beobachten Sie in Ihrer Arbeit?

Der Online-Journalismus ist viel besser geworden. Gerade in den klassischen Medien wie Süddeutsche.de, Zeit.de, Faz.net. Da sitzen jetzt an vielen Stellen Journalisten, die sich auskennen. Es gibt inzwischen Standards, sich transparent zu korrigieren, auf andere Quellen zu verlinken. Das klingt banal, aber ich weiß, dass das vor fünf Jahren nicht selbstverständlich war.

Seit 2013 existiert in Deutschland das Leistungsschutzrecht, Verlage haben ein Lizenzrecht auf die kurzen Teaser ihrer Texte, mit denen Suchmaschinen wie Google Geld verdienen. Vor wenigen Wochen ließ das deutsche Bundeskartellamt die Medien, die Google und Co. verklagt haben, abblitzen. Wie wird dieser Streit weitergehen?

Fakt ist: Die Verlage wollen Geld; Google will kein Geld zahlen. Ich glaube, dass es keinen Rechtsanspruch darauf geben sollte, dass die Suchergebnisse angezeigt werden. Selbst wenn das Recht in irgendeiner Weise durchgesetzt wird, glaube ich nicht, dass es den Online-Journalismus rentabel macht. Das, was die Verlage tun, ist eine Verschwendung von Ressourcen. Selbst wenn sie das Geld von den Suchmaschinen bekämen, würde es ihnen nicht aus der Krise helfen.

Auf einen Blick

Der Blogger und Medienkritiker Stefan Niggemeier wird am Dienstag auf Einladung der Telekom Austria zu Gast sein. Stargast des Abends ist mit Arianna Huffington die Gründerin der Huffington Post. (Futuretalk am 23.9. ab 19 Uhr, Semperdepot; Moderation: Michael Fleischhacker, NZZ.at). Ein Livestream von dem Event ist unter www.telekomaustria.com abrufbar.

Steckbrief

Stefan Niggemeier
geb. 1969 in Niedersachsen. Seit 1993 Journalist, Absolvent der Deutschen Journalistenschule in München.

Ab 1997
Medienredakteur, mal frei, mal fest angestellt, für „Süddeutsche Zeitung“, „FAZ“, „Spiegel“ (bis 2013) und aktuell wieder für die „FAZ“.

2004
gründet er mit seinem Kollegen Christoph Schultheis das Weblog Bildblog. Nebenbei betreibt er seinen eigenen Blog.

Seit 2014
ist Niggemeier Teil der Krautreporter, die online Texte gegen Geld verkaufen wollen. Jan Zappner

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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