"Schnee von gestern": Als uns die Ski-Liftkarten noch ins Gesicht schnalzten

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Früher war nicht alles besser. Aber es war anders. Skifahren war immer kalt und immer nass. Man wusste nicht, wer am Telefon war, wenn es klingelte. Im Urlaub ging es mit dem Auto an die Adria, dort war nach 36 Urlaubsfotos der Film aus.

Dieser Artikel war der Ausgangspunkt: Damals, am Skilift: Erinnerungen an einen Volkssport

Friederike Leibl-Bürger und Florian Asamer haben sich weiter erinnert und daraus ein Buch gemacht:

"Schnee von gestern"

Erinnerungen an eine Zeit, in der Ski fahren noch etwas war, das alle machten und der Sommer in einen Sandkübel an der Adria passte. Als wir einsam im Sturm am Einser-Sessellift baumelten und uns die Liftkarte nach der Kontrolle ins Gesicht schnalzte. Als die Adria die ganze Welt war und unsere Ewigkeit aus 24 Bildern bestand. Manchmal aus 36.
Es war wichtiger, eine freie Leitung zu haben, als sich am Telefon auch zu unterhalten. So sahen es die Eltern. Wie es die Kinder sahen, zeigt diese Spurensuche nach dem Lebensgefühl der 1970er und 1980er Jahren.

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Leseproben

Erbswurstsuppe und Skiwasser (Kapitel Winter)

Einkehrschwung, das hieß früher aufwärmen, aufs Klo gehen und kleine Karte. Wobei die Selbstbedienung schon damals Standard war und das Balancieren des Tabletts in Skischuhen mehr zur Ausbildung unseres Gleichgewichtssinnes und damit zur Sicherheit auf den Skiern beigetragen hat als jede noch so schwere Buckelpiste.

Wo heute auf zigtausend Metern manchmal sogar zwischen frischer Steinofenpizza, Filetspitzen und aus einer ansehnlichen Weinkarte gewählt werden kann, hieß es damals immer nur: Erbswurstsuppe, Berner Würstel oder Germknödel. Kaum etwas sieht so eklig aus wie Erbsensuppe mit Würstel. Es gibt sie auch ausschließlich auf Skihütten. Kinder hassen sie und Erwachsene essen sie nur deshalb, weil es sie an früher erinnert. Die Erbswurstsuppe dient also von jeher bloß dem Verfestigen von Erinnerungen. Eine ähnliche Funktion erfüllt das Skiwasser. Der verwässerte und völlig unangemessen teure Himbeersaft findet nur auf Skihütten Abnehmer.

Ein anderes Phänomen der Skikulinarik: Käsespätzle, Kaspressknödel und Gulaschsuppe. Lauter Gerichte, die alle gesundheitlich positiven Effekte des Bergsports (Bewegung, frische Luft) mit einem Schlag zunichtemachen.

Doch bevor man sich an diesen fragwürdigen kulinarischen Angeboten laben konnte – so hungrig wie ein Skitag macht sonst nur schwere körperliche Arbeit –, mussten wir zuerst einmal einen Platz ergattern. Das begann mit einer schweren Entscheidung: Wohin mit den Latten und den Stöcken? Die Metall- oder Holzständer vor den Hütten waren meist hoffnungslos überfüllt. Wir neigten dazu, einfach die Bindung zu öffnen und die Skier, so wie sie waren, liegen zu lassen. Man wusste ja, wo sie waren. Später allerdings leider nicht mehr so genau.

Wollte man Mittagessen, und alle wollten zu Mittag essen, also so gegen halb eins, dann stellte sich die Frage: drinnen oder draußen? Wobei, eigentlich stellte sie sich nicht: War es warm und schön, musste man drinnen sitzen. War es eisig kalt, aß man im Freien. Denn die Hütten an den neuralgischen Punkten waren zu den Stoßzeiten so überfüllt, dass man froh sein musste, überhaupt noch irgendeinen Platz zu bekommen. Und der war immer dort, wo gerade niemand sein wollte. Da wir uns unser Essen selber holen mussten, galt es, sich einen Tisch zu sichern, bevor man sich ums Essen anstellte. Am beliebtesten waren in der Hütte Eckplätze mit Bank, jene vor der Hütte die an der Hauswand. Hatte man einen Platz ergattert, reservierte man ihn mit einem ganzen Haufen an Materialien: Hauben, Handschuhen, Skibrillen, oft auch Anoraks zeugten davon, dass hier nichts mehr zu holen war. Uns Kindern war immer zu heiß oder zu kalt.

Apropos Hütte: Das mit Abstand Gefährlichste am gesamten Skisport waren nicht etwa Fahrten in ungesicherten Tiefschneehängen, Sprünge über nicht einsehbare Schanzen oder waghalsige Schussfahrten – sondern in der Skihütte die Toilette erfolgreich aufzusuchen. Mit geschlossenen Skischuhen versuchten wir die gefliesten, nassen und damit unendlich rutschigen Stufen in den Keller hinunterzusteigen. Hatte man das geschafft, ohne sich den Hals zu brechen, kam der nächste heikle Teil. Unter den verschiedenen wärmenden Schichten etwa jenen Teil herauszuwurschteln, der einem Erleichterung verschaffen konnte. Wer sich hinsetzte, riskierte, dass der obere Teil des Overalls die eklige Nässe am Boden berührte, außer man hatte alles Ausgezogene gekonnt verknotet. Bis dahin klopften dann aber schon zig Wartende an die Klotür.

Auch für unsere Eltern war das Einkehren wenig erholsam. Kaum hatten sie sich hingesetzt, waren wir mit unserem Essen schon fertig und drängten auf den Aufbruch. Vor allem bei schönem Wetter im Freien gab es immer Diskussionen: Die Erwachsenen wollten nach dem Essen gerne noch ein bisschen in der Sonne sitzen und die Augen zumachen. Wir dagegen so schnell wie möglich wieder in die Bindung steigen.

Jugend ohne Shoppen (Kapitel Frühling)

Als wir Kinder waren, hieß Shoppen noch Einkaufen und war nichts, was wir als Hobby bezeichnet hätten. Dazu fehlten außerhalb von größeren Städten (also Wien) wesentliche Faktoren: Es gab keine Geschäfte, in denen man einfach nur herumschauen hätte können. Und es gab immer zu wenig Taschengeld. Internationale Ketten mit Filialstruktur waren noch selten. Für uns bedeutete alleine Einkaufen: in die Trafik gehen, zur Milchfrau, zum Bäcker, zum A & O oder ADEG. Dort kauften wir Süßigkeiten, Comics, Pickerln. Später, als wir schon im Gymnasium waren, konnten wir zwar schon ohne Begleitung in die nächste Stadt fahren, also dorthin, wo es die richtigen Geschäfte gab, unser Radius war dennoch sehr beschränkt.

Selbst Artikel unseres täglichen Bedarfs wurden damals in Geschäften angeboten, wo ein Verkaufspult den Kunden von den Produkten trennte. Schulsachen gab es zum Teil in der Trafik (Bleistift, Radiergummi, linierte Mittelquart-Hefte) oder in einem richtigen Papiergeschäft. Dieses sogenannte Fachgeschäft führte all die wunderbaren Dinge, die heute in Libro-Filialen oder großen Buchhandlungen für jedes Kind zum Angreifen herumliegen. Wir konnten sie nicht einmal anschauen: Sie waren hinter dem hohen Verkaufspult, in Vitrinen geschützt und in Kästen weggesperrt. Ein Kugelschreiber zum Beispiel musste erst von einer Verkäuferin aus einer Schachtel geholt werden, um näher begutachtet werden zu können.

Die Geschäfte hatten damals überhaupt noch die volle Kontrolle über die Waren. Da es kein Internet gab und auch keine Preisvergleichsplattformen, war man auf das Sortiment des jeweiligen Geschäfts angewiesen. Wollte man etwas anderes, wurde lange in dicken Katalogen herumgeblättert, die Ware, die man sich in der Abbildung nur schlecht vorstellen konnte, musste dann erst bestellt werden. Wenn man dem Inhaber besser bekannt war, konnte das auch nur zur Ansicht geschehen. Es dann aber nicht zu nehmen war dennoch verpönt. Weil man einander ja besser kannte.

Geschäfte waren mittags, also zwischen 12 und 15 Uhr, durchgehend geschlossen und sperrten spätestens um 18 Uhr zu. Kurz vor Ladenschluss ging man nicht einkaufen, um niemanden aufzuhalten. In Landgemeinden waren Geschäfte auch den gesamten Mittwochnachmittag geschlossen. Supermärkte durchbrachen schließlich dieses Regime. Wohnte man in Westösterreich, fuhr man ab und zu auch über die Grenze, um in Deutschland einkaufen zu gehen. Von Salzburg aus zum Beispiel in Bad Reichenhall oder in Freilassing. Im dortigen Supermarkt fühlten wir uns wie die armen Verwandten aus dem Osten. Während es bei uns zum Beispiel nur Fruchtjoghurt in fünf ziemlich einfallslosen Geschmacksrichtungen von der jeweils örtlich ansässigen Monopol-Molkerei gab (Nöm, Tirol Milch etc.), fühlte man sich in der Bundesrepublik Deutschland wie im Schlaraffenland.

Nur hatten wir uns, um dorthin zu gelangen, durch keine Grießbreimauer gegessen, sondern nur unseren Personalausweis am Grenzübergang beim kleinen deutschen Eck hergezeigt. Vor den deutschen Kühlregalen waren wir orientierungslos, weil es so viel Angebot gab: zig Hersteller (auch aus anderen europäischen Ländern), unvorstellbar viele Geschmacksrichtungen, Milchprodukte, die wir vielleicht einmal in einem Restaurant als Nachspeise bekommen hatten. Wir kauften, was wir tragen konnten. Als zehn Jahre später die Berliner Mauer fiel, hatten wir eine ungefähre Vorstellung, wie sich die Ostdeutschen vor westdeutschen Regalen fühlen mussten.

Bei der Freizeitgestaltung ihrer Kinder kämpfen Eltern heute vor allem an zwei Fronten einen zähen und aussichtslosen Kampf. Einerseits beim Thema Bildschirm: Leg-das-Handy-weg gehört inzwischen längst zum Standardrepertoire der Erziehungsarbeit und hat Nimm-den-Finger-aus-der-Nase längst an der Spitze der Ermahnungspyramide abgelöst. Das zweite Übel, gegen das bemühte Eltern aus innerster Überzeugung vorgehen, ist das Shoppen als Freizeitbeschäftigung. Das Herumhängen in Einkaufszentren oder Fußgängerzonen, um dabei möglichst viel Zeit und Geld zu verplempern, haben die heutigen Kinder allerdings von ihren Eltern gelernt. Wir hatten ja viel nachzuholen.

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