Internet: Dies ist kein Buch

(c) AP (Mark Lennihan)
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Bücher stärken Intellekt und Persönlichkeit, heißt es. Doch auch das Internet fördert die Lesekompetenz der Jugend. Deshalb tarnt die Printbranche nun ihre Medien.

Was bezeichnet „fanta“? Für Limonadentrinker einen Softdrink, für Hiphop-Fans die „Fantastischen Vier“, für kurz angebundene SMS-Schreiber „Ich fahr' noch tanken“ (z.B., wenn sie sich verspäten). Diese Kurzsprache lässt Leseexperten und Lehrerorganisationen immer wieder gegen die Online-Kultur wettern – sie sei lesefeindlich, weil so schnelllebig: Das geschriebene Wort wird abgekürzt und vernachlässigt, kurze Aufmerksamkeitsspannen werden bedient.

Die Popularität des Internets jedenfalls ist ungebrochen: Laut der aktuellen Media-Analyse 2007 nutzten 66,7 Prozent der österreichischen 14- bis 19-Jährigen „gestern“ das Internet. 1994 waren es 11,9Prozent.

Doch hat das Netz keineswegs nur negative Auswirkungen: Es regt auch Kinder und Jugendliche zum Lesen an, die sonst fernsehen würden. Bei Dyslexie (Probleme beim Texterfassen) oder Lernschwierigkeiten können die kleinen Happen Lesestoff helfen, sagt die Legasthenie-Wissenschaftlerin Sally Shaywitz der „New York Times“ (NYT).

Und auch wenn die (Bewegt-)Bildinhalte zunehmen – das Internet ist ein auf Text basierendes Medium, und jeglicher Umgang mit ihm fördert die Text- und Lesekompetenz (ob auch die persönliche und intellektuelle Entwicklung, wie Bücher das tun, ist umstritten). Digital Literacy wird diese Fähigkeit genannt. Problem dabei: Die Online-Welt, die Jugendliche frequentieren, haben sie sich zum Großteil selbst geschaffen: Der dort von nicht professionellen Schreibern geschaffene User Generated Content auf Blogs, Fan-Seiten etc. ist häufig mit Rechtschreib- und Flüchtigkeitsfehlern durchsetzt.

Internet und Welt sind nicht linear

Trotzdem ist das Internet viel eher ein „Abbild“ der Welt, in der man sich später zurechtfinden muss: Während Printmedien und Bücher (für die man sich Zeit nehmen muss, die die Imagination anregen) von ihrer Linearität beherrscht sind, ist das Internet weder linear noch chronologisch. Ein Buch nimmt man Seite für Seite in der gegebenen Reihenfolge hin. Im Internet wird via Hyperlinks „gesurft“. Das Lesezeichen ist Indikator: Fürs Buch braucht man bloß eines; im Netz setzt man es hundertfach, kreuz und quer. Die Interaktivität ist ein weiterer Vorteil: Das Internet bindet die Jugendlichen ein, lässt sie selbst aktiv, kreativ werden.

Die NYT zitiert aber auch eine Studie des amerikanischen „National Endowment for the Arts“, die zu folgenden, dramatisch klingenden Feststellungen kommt: „1. Die Amerikaner lesen weniger. 2. Die Lesekompetenz wird untergraben. 3. Diese Rückgänge haben ernste zivilgesellschaftliche, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Auswirkungen.“ Dies gelte vor allem für die „jungen Erwachsenen“. Amazon-Gründer Jeff Bezos versuchte deshalb schon im November, das Buch als Computer zu „tarnen“ – und brachte „Kindle“, ein elektronisches Buch auf den Markt.

In Frankreich ist man einen bedeutenden Schritt weiter – denn die Jungen sind auch die begehrteste Zielgruppe der Werbewirtschaft: 120 Versuchspersonen testen dort bis September für France Télécom ein E-Paper, eine Spur größer als das abgebildete Kindle. Sieben Printmedien – darunter die Zeitungen „Le Monde“ und „Le Figaro“ – beteiligen sich an dem Experiment namens „Read & Go“, berichtet der „International Herald Tribune“. Jedoch sind die Displays vor allem für Texte – weniger für Bilder, kaum für Videos – gemacht. Allerdings – und das macht den Unterschied aus: Werbeinserate lassen sich hier verkaufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2008)

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