MedienDebatte: ORF auf der Suche nach der Jugend

Wolfgang Lorenz
Wolfgang Lorenz(c) FABRY Clemens
  • Drucken

Wolfgang Lorenz beim Grazer Dialogforum: „Wir sind nicht die Erziehungsanstalt der Nation.“ Er gesteht eine gewisse Ratlosigkeit im Umgang mit der Jugend ein

Wolfgang Lorenz ist kein großer Freund des Internet. Der Programmdirektor des ORF-Fernsehens wurde bei einem „Dialogforum“ am Wochenende in Graz nicht müde, coram publico zu betonen, dass es ihm „scheißegal ist, was da drinnen steht und was Jugendliche darin machen“. Damit mutierte er kalkulierterweise zum Lieblingsgegner des netzaffinen jugendlichen Stammpublikums der im Rahmen des „Elevate“-Festivals für zeitgenössische Musik, Kunst und politischen Diskurs abgehaltenen Veranstaltung. „Es wird Ihnen nicht egal sein, wenn wir keine Gebühren zahlen“, kontert ein junger Mann aus dem Publikum. Vom ORF-Fernsehen fühle sie sich schon jetzt „nicht mehr vertreten“, attestiert eine Alterskollegin. „Warum gibt es keine Sendung, wo Jugendliche eingeladen werden“, will sie wissen.

Lorenz gesteht eine gewisse Ratlosigkeit im Umgang mit der Jugend ein. Jugendsendungen seien keine adäquate Lösung. Im Gegenteil: „Die sind das Schlimmste, was wir der Jugend anbieten können“, sagt der Programmchef, fordert aber auch mehr Initiative und Rebellionsgeist des 12- bis 29-jährigen Zielpublikums selbst. „Es fehlt eine aufgekratze Jugend, die ihre Chance einfordert und Lust hat, die Gesellschaft in die Luft zu sprengen“, bedauert Lorenz. Die Leute wollen nur noch unterhalten werden, seien aber nicht mehr an ernsthaften gesellschaftspolitischen Fragen interessiert. Auch der ORF sei zwar „nicht die Erziehungsanstalt der Nation“ (Lorenz), würde aber entsprechende Plattformen anbieten. Im Fernsehen! Denn: „Das Internet hat keine gesellschaftliche Relevanz“, poltert der Direktor.

„Biotop der Alten“

„Die Zeit, in der die Jugend das Fernsehen als Quelle zur politischen Information nutzt, sind vorbei“, sagt dagegen Heinz Wittenbrink, Medienprofessor an der Grazer Fachhochschule Joanneum: Die klassischen Nachrichtensendungen würden zum „Biotop der Alten“ verkümmern. Das habe nichts mit einer Verkürzung der Informationsbeschaffung zu tun, sondern mit der Möglichkeit, schneller selbst aktiv werden zu können.

Großes Potenzial misst auch FM4-Chefin Monika Eigensperger dem Internet zu. „Nicht belehren, sondern im Sinne einer Meinungspluralität einen Diskurs zulassen“ – damit habe es das Internet noch leichter als das Radio, sagt Eigensperger. Blogger und deren Community seien nur Einzelerscheinungen und Ergebnis einer zunehmenden Kokonisierung der Gesellschaft, glaubt dagegen Programmentwickler David Schalko („Sendung ohne Namen“). Deshalb müsse sich die Jugend ihre Plätze im TV-Programm erkämpfen. Nur so könne eine breite gesellschaftliche Relevanz hergestellt werden.

Pachner lobt das Almodische

Nicht so drastisch im Ton, aber inhaltlich nicht weit von Lorenz entfernt, warnt selbst ORF-Online-Chef Karl Pachner vor zu großen Erwartungen an das Internet: „Die großen Events finden nicht ohne Fernsehen statt“, behauptet er. Auch Kampagnen würden – siehe jüngste Beispiele bei der „Kronen Zeitung“ – noch über ein „altmodisches Medium“ wie die Zeitung funktionieren. Parallel sei online aber ein „verstärkter Bedarf nach Stellungnahme“ festzustellen.

So gebe es massiven User-Anstieg bei Foren, Debatten. „Wir sind im Internet die Ermöglicher eines direkten, schnellen Meinungsaustausches“, sagt Pachner. Er hofft, dass auch sperrige Themen im Netz „funktionieren, wenn sie gut aufbereitet sind“, und verweist auf die aktuelle weltweite Finanzkrise sowie das begleitende Informationsangebot im ORF-Online; zu diesem Thema habe man mehr Zugriffe verzeichnet als bei der Berichte-Flut rund um den Tod des Kärntner Landeshauptmannes Jörg Haider.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.